Heute werde ich wieder viel Wald sehen. Erst muss ich noch mit dem Hausruck abschließen, danach beginnt der Kobernaußerwald. Aber wo genau der eine aufhört und der andere anfängt, darüber streiten sogar die Geographen. Aber zusammen ergeben die beiden eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Mitteleuropas. Und ich darf es der Länge nach durchqueren!
Um 6:26 Uhr fährt mein Zug, schließlich will ich eine realistische Chance haben, mein heutiges Ziel bei Tageslicht zu erreichen. Mit dem Frühstück im Rucksack besteige ich die alte Triebwagengarnitur, die mich wieder zu meinem Ausgangspunkt schaukelt.
Tag 5: Hausruck – Kobernaußerwald – Mattighofen
Schweren Schrittes gehe ich vom Bahnhof Hausruck zwei Kilometer hinauf zu meinem Weg, bevor ich dort weitermachen kann, wo ich gestern abbrechen musste. Zwei mögliche Tagesziele stehen mir heute zur Auswahl: Maria Schmolln, 35 Kilometer entfernt, oder gleich weiter nach Mattighofen, eine volle Marathondistanz.
Es reizt mich letzteres, aber die Entscheidung vertage ich auf Nachmittag.
Zu Beginn komme ich gut voran, der Vormittag spielt sich hauptsächlich auf Forst- und Nebenstraßen ab, am Höhenmeter-intensiven Charakter des Weges ändert sich dabei wenig. Mehrmals erklimme ich unscheinbare Hügel, von unbekannten Ortschaften als deren höchste Punkte gefeiert.
An Aussicht wird nur wenig geboten, Stellen mit weitem Blick ins Land sind rar. Der frühen Morgenstunde geschuldet treffe ich noch weniger Menschen als gestern. Ein Landwirt hier, zwei Holzarbeiter da, alle sehr von meiner geplanten Gehstrecke beeindruckt.
Zwischendurch führt mich der Weg ins Tal, hinunter in den Ort Schratteneck. Einen Wirt gäb’s hier, aber der öffnet seine Pforten bloß nachmittags und Ruhetag hat er heute obendrein. Hier werde ich nicht wohl satt.
Die erste Einkehrmöglichkeit des Tages finde ich bei der Kobernaußerwaldwarte am Steiglberg vor. Die Zeit für Suppe, Getränk und Stempel muss sein. Und geschäftstüchtig ist man hier: Ein Drehkreuz wacht darüber, dass der Aussichtsturm nur gegen klingende Münze bestiegen wird.
Zwei Gräben sind zu durchqueren bevor ich nach steilem Aufstieg die kleine Ortschaft Frauschereck erreiche. Die Waldstraße schlägt schon die Richtung nach Mattighofen ein, doch die Markierung zweigt nach einiger Zeit wieder in den Wald ab.
Die Wege werden schmäler, der Wald immer tiefer. Wenn ich bei der unbeschilderten Abzweigung den falschen Weg nehme, stünde ich wohl nach der nächsten Wegbiegung vor einem Häuschen aus fein duftendem Lebkuchen.
Ich meine fast, die Lockrufe der dort wohnhaften alten Dame hören zu können. Reichlich Essen bietet sie mir an, aber mir dünkt, dass sie mir nur ein kleines, ungemütliches, vergittertes Kämmerchen zur Verfügung stellen will.
Die Wegbedingungen schwanken zwischen Winter und Frühling, den feuchten Stellen lässt sich meist gut ausweichen.
Scherfeck, Bachleiten und Höh lauten die nächsten Ortschaften, allesamt aus nur wenigen Häusern bestehend.
Mittlerweile ist der Stundenzeiger schon weit vorgerückt und die Frage des heutigen Übernachtungsorts wird langsam akut. Lasse ich es bei Maria Schmolln gut sein? Der Wallfahrtsort ist zwar nahe, liegt aber zwei Kilometer abseits des Weges. Beim Gedanken, diese morgen zurück marschieren zu müssen, kommt keine Freude auf.
Und obwohl sich die Füße bereits über den langen Tag beschweren werden sie einfach überstimmt und ich entscheide mich für den Weiterweg nach Mattighofen.
Am Weg dorthin liegt noch das Kindsbründl. Der Überlieferung nach hauste hier einst eine Zigeunerin, welche gerne von Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch aufgesucht wurde. Diesen gab sie vom Quellwasser des Brunnens zu trinken, worauf sich der erhoffte Erfolg eingestellt haben soll. Heute ist nicht mehr viel davon zu sehen.
In Mattighofen steuere ich den Mattigtalerhof am Ortseingang an, wo ich ein großes Zimmer und einen ebensolchen Grillteller bekomme. Nach beinahe 45 Marschkilometern durchaus verdient, wie ich meine!