Bekanntlich hat es vor zwei Wochen mit der Überschreitung der Stubaier Alpen nicht ganz geklappt. Doch diesmal bin ich hier, um das Vorhaben zu seinem Ende zu bringen.
Wieder reise ich im Liegewagen an, das Taxi von Innsbruck kostet jedoch beinahe gleich viel wie die Zugfahrt durch ganz Österreich. Dafür bin ich heute schon sehr zeitig am Start.
Am Parkplatz in Praxmar, wo ich letztes Mal vergebens auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit war, verspeise ich mein Frühstück, wenige Minuten vor sechs Uhr gehe ich los.
Tag 38: Praxmar – Pforzheimer Hütte – Schweinfurter Hütte
Zwei Aufstiege und ebenso viele Hütten warten heute auf mich. Zuerst muss ich über das Satteljoch zur dahinter liegenden Pforzheimer Hütte. Von meinem Nachtquartier, der Schweinfurter Hütte trennt mich dann noch das Gleirschjöchl.
Unterm Strich sind das 1600 Höhenmeter.
Zu Beginn wandere ich im Schatten, die Temperaturen verlangen noch nach der Fleecejacke. Doch bald klettert die Sonne über den Horizont und heizt mir kräftig ein. Ab der Bank am Zirmkogel bin ich im T-Shirt unterwegs. Nicht viel später wandern die langen Hosenbeine ebenfalls in den Rucksack.
Unbeeindruckt ob meiner Anwesenheit verharren die vielen Kühe stoisch auf ihrer Weide. Kein Fußbreit Platz wird mir gemacht. Mehrmals muss ich zur Seite treten, um allzu intimen Kontakt zu vermeiden, so ein salzig-schwitzender Wanderer ist schnell abgeleckt. Man möchte fast glauben, sie werfen sich für die Touristenkameras in Pose.
Mittlerweile löst die Sonne die Feuchtigkeit der Nacht von den Almwiesen, Nebelfetzen begleiten meinen Weg hinauf zum Satteljoch. Später werden sie sich zu einer dunklen Wolke auftürmen. Doch bevor es kracht, löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Am Satteljoch genieße ich einen schönen Ausblick auf den weiteren Weg. Um zur Pforzheimer Hütte zu gelangen, muss ich erst das vor mir liegende Gleirschbachtal durchqueren. Lediglich drei Wanderer sind mir am Weg dorthin entgegengekommen.
Nach einer kleinen Gegensteigung kehre ich ein und gönne mir bei der Pforzheimer Hütte ein zweites Frühstück.
Hoooo-ruck! Frisch gestärkt schwinge ich mich noch mal 500 Höhenmeter hinauf und bald stehe ich am Gleirschjöchl, dem höchsten Punkt für heute.
Ich nehme mir Zeit für eine ausgiebige Pause, viel habe ich heute nicht mehr vor. Eine Wandergruppe will mir den benachbarten Gipfel (Gleirscher Rosskogel, 2994m) schmackhaft machen, doch angesichts der bereits absolvierten Höhenmeter schlägt die Bequemlichkeit durch und ich lehne dankend ab.
Im Abstieg zur Hütte, sehe ich bereits einen Teil der morgigen Etappe vor mir. Doch trotz ausgiebigem Kartenstudium wird mir nicht ganz klar, auf welchem der vielen Gipfel ich morgen stehen werde. Eines weiß ich jedoch: es wird der erste 3000er der Saison!
Die Schweinfurter Hütte (vormals Gubener Hütte, daher auch Guben-Schweinfurter-Hütte genannt) erreiche ich Punkt 14 Uhr. Prompt wird mir beschieden, dass die Hütte bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Aber man gibt sich flexibel: Wir werden schon ein Platzerl für dich finden…
So ist es dann auch, gerade als ich meinen Kaiserschmarrn verdrücke, wird mir ein Schlafplatz zugeteilt. Ich teile ein Zimmer mit vier Herren der Sektion Schweinfurt des Deutschen Alpenvereins. Das bayerische Quartett ist hier mit Wegmarkierungs- und Instandhaltungsarbeiten beschäftigt.
In den Genuss der frisch bepinselten Wanderwege komme ich dann morgen, ein dreifaches Hoch auf die ehrenamtlichen Wegbetreuer!
Tag 39: Schweinfurter Hütte – Hochreichkopf – Tumpen
Meine vier Zimmerkollegen schlafen noch tief, als ich mich um 6:29 Uhr aus den Gemächern schleiche, um pünktlich der Eröffnung des Frühstücksbüffets beiwohnen zu können. Mit gut gefülltem Magen trete ich schließlich vor die Hütte und mache mich um 7 Uhr auf den Weg hinauf zur 900m höher gelegenen Hochreichscharte.
Vorbei an der Finstertaler Sennhütte spaziere ich auf schönen Almwegen. Je höher ich komme, desto karger wird die Vegetation. Schließlich quere ich weite Schneefelder und erfreue mich am Anblick eiskalter Seen.
Steil führt der letzte Wegabschnitt hinauf in die 2912m hohe Hochreichscharte. Dort bietet sich die Gelegenheit, den 3010m hohen Hochreichkopf zu ersteigen. Natürlich lasse ich den einzigen Dreitausender im unmittelbaren Nahbereich der 02A-Route nicht aus. Da ich auf die Gehzeitangaben des Wanderführers bereits einen schönen Vorsprung herausgearbeitet habe, geht sich das wunderbar aus.
Am Hochreichkopf bestaune ich das 360°-Panorama, regelrecht umzingelt bin ich von zahllosen Bergen mit weißen Hauben. Leider reichen meine Kenntnisse der Tiroler Geographie nicht aus, um auch nur einige davon benennen zu können.
Nur den Wildgrat mit seinen 2971m Seehöhe auf der anderen Seite des Ötztals erkenne ich. Denn der liegt auf meiner weiteren Route, dort hinauf wird mich die nächste Etappe führen.
Zurück in der Scharte beginnt mit dem Wilhelm-Oltrogge-Weg nun ein Abschnitt, den ich mit besonderer Spannung erwarte. Der Wanderführer versucht ihn folgendermaßen schmackhaft zu machen:
Bei der folgenden, sehr anspruchsvollen Etappe auf dem “Wilhelm-Oltrogge-Weg” zur Bielefelder Hütte wird im Abschnitt zwischen Hochreichscharte und Niederreichscharte, sowie auch weiter über Lauser und Achplatte bis zur Ruine der Alten Bielefelder Hütte vom Wanderer absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sowie besondere Vorsicht abverlangt.
Dieses hochalpine Wegstück sollte – insbesondere auch auf Grund der Länge und Höhenlage – nur bei sicherem Wetter und guten Wegverhältnissen begangen werden.
Weiter im Text ist dann von steilem Auf und Ab und Schwierigkeitsgrad I zu lesen. Was mich in den nächsten Stunden wirklich erwartet, kann ich nur schwer einschätzen. Trotzdem: Let’s go!
Auf diesem Wegstück bekomme ich sogar Begleitung, zumindest akustisch.
Zwei Tirolerinnen nehmen – unüberhörbar – den Weg knapp nach mir in Angriff. Da die beiden ihre offensichtliche Leidenschaft für die dauerhafte verbale Kommunikation ungehemmt ausleben, wird mein nächstes Etappenziel schnell klar: Der Zwangsbeschallung so schnell wie möglich zu entkommen. Was mir aber angesichts eines ähnlichen Gehtempos nur schlecht gelingt.
Der Weg begeistert mich aber ungemein. Viele Kilometer lang führt die Route durch steile Hänge, in ungezählten Passagen werden die Hände benötigt. Diese Stellen sind aber bestens abgesichert. An Stahlseilen, Trittplatten und Haltegriffen wurde hier nicht gespart.
Ausrutschen oder hinunterfallen ist trotzdem nicht angesagt, zu ausgesetzt sind manche Stellen.
Mehrmals blicke ich staunend auf vor mir liegende Passagen, nur schwer ist zu fassen, dass dort ein Weg hindurchführen soll. Doch es findet sich natürlich immer eine Möglichkeit.
Müsste ich die Schwierigkeit des Weges bewerten, würde ich einzelne Passagen als Klettersteig B einstufen, oft jedoch am Rande des Abgrunds. In der von mir begangenen Richtung werden diese Stellen meistens abwärts geklettert. Doch dank der Beschreibung aus dem Wanderführer hatte ich mehr Respekt als schließlich notwendig.
Mit Sicherheit war das aber bisher der alpinste und fordernste Abschnitt auf meiner Wanderung am Zentralalpenweg bisher. Einfach ein großartiger Weg!
Die Schwierigkeiten enden bei der Alten Bielefelder Hütte. Der Weg führt mitten durch die Hütte, gerne würde ich hier einkehren. Doch seit die Hütte im Jahre 1952 von einer Lawine plattgewalzt wurde, wird hier kein Bier mehr ausgeschenkt.
Der Zentralalpenweg führt nun weiter zur Neuen Bielefelder Hütte. Doch da von dort bereits Baustellenlärm herüberdringt, beschließe ich, direkt zur Acherberg Hütte und von dort weiter ins Ötztal abzusteigen. Möge der Alpenverein es mir nachsehen!
Also steht mir ein langer Abstieg bevor, 1600 Höhenmeter am Stück setzen den Knien ordentlich zu. Schließlich erreiche ich das Ötztal im Ort Habichen, fast genau bei der Busstation.
Doch noch habe ich nicht genug! Um die nächste Etappe zu verkürzen, gehe ich noch in den nächsten Ort – Tumpen. Dazu muss ich wieder 100 Höhenmeter hinauf. Nach dem langen Abstieg ist die ungewohnte Bewegung ist eine wahre Wohltat für Füße und Sprunggelenke. Lediglich die Oberschenkel beklagen sich, sind sie es auch, die die gesamte Last tragen müssen.
Von Tumpen bringt mich ein Bus zum nächsten Bahnhof und in Innsbruck angekommen marschiere ich wieder direkt ins IBIS.
Ich werde prompt wiedererkannt bekomme erneut eines der letzten Zimmer. Danach folgt das von vor zwei Wochen gewohnte Prozedere: Heimsuchung des hiesigen Schachtelwirts und keine weiteren Aktivitäten.
Und weiter? Im Zuge dieser Etappe habe ich mir das erste Mal konkrete Gedanken über den Abschluss des Zentralalpenwegs gemacht.
Laut Alpenvereinsführer fehlen mir “nur” mehr 11 von 73 Tagesetappen. Ende August wird eine ganze Woche dem 02er gewidmet. Ideal wäre natürlich, wenn sich davor noch ein Wochenende unterbringen ließe…
Die nächsten Etappen könnten wie folgt aussehen:
- In drei Tagen über die nördlichen Ausläufer der Ötztaler Alpen und durch das Pitztal ins Oberinntal.
- Danach würde ich zwei Tage bis Ischgl benötigen und somit knapp vor der Vorarlberger Grenze stehen.
- Weitere zweieinhalb Tage brächten mich nach Schruns-Tschagguns.
…womit 2015 ein verlängertes Wochenende genügen könnte, um in Feldkirch einzulaufen!
Respekt und Gratulation!
Ich hoffe, ich konnte zumindest bei dir die Lust wecken, am 02er auch wieder mal ein Stück voranzukommen!
Super-Fotos! Das Wetter hat augenscheinlich auch ganz gut mitgespielt.
Ja, da konnte ich mich echt nicht beklagen. Fast schon zu heiß beim Abstieg.
Wenn das Wetter passr, geht’s in der letzten Augustwoche wieder auf den 02er – mit etwas Glück komm ich dann bis nach Vorarlberg.