Organisatorisch wär es sicher einfacher, den Rest des Lechtaler Höhenweg in einem Aufwasch zu erledigen, aber was will man machen: Nur drei Tage Zeit, ebensoviele Tage Schönwetter und vor allem: Ich will, ich will, ich will!
Also sitze ich eines Montagvormittags da und grüble, wie ich am besten morgen früh unter dem Hahntennjoch meine Wanderung fortsetzen könnte. Der Nachtzug von Graz ist überraschenderweise ausgebucht (der hatte doch zu meinen Zentralalpenwegszeiten immer kurzfristig ein Platzerl für mich!), auch alle anderen Optionen (spätabends ankommen, auf halber Strecke übernachten) erscheinen nicht besonders praktikabel.
Dann sehe ich zufällig, dass der Nachtzug Wien-Bregenz noch Mini-Cabins frei hat, und damit ist die Sache klar. Die neuen Nightjet-Garnituren wollte ich mir immer schon mal näher anschauen und der Liegeplatz-Zuschlag ist billiger als jedes Tiroler Bett (schlappe 29 Euro Aufzahlung aufs Klimaticket). Somit mach ich halt einen Umweg über die Bundeshauptstadt und übernachte im kleinsten Separée, das die ÖBB zu bieten hat. Sehr feine Sache!
Um Punkt sechs Uhr steige ich in Imst aus, ruckzuck geht’s mit dem Bus in den Ort weiter. Dort muss ich etwas Wartezeit in einem gerade aufsperrenden Café überbrücken und nach einer recht spektakulären Busfahrt über die Hahntennjochstraße landet knapp nach acht Uhr das erste Foto auf meiner Speicherkarte.
Tag 49: Pfafflar – Steinseehütte
Von Pfafflar muss ich erst noch nach Boden absteigen, dort halte ich mich links in das Tal des Angerlebachs. Vor mir kann ich nun schon den Hauptteil des heutigen Tagesprogramms betrachten.
Die Dremelscharte etwas links der Bildmitte trennt mich von meinem Tagesziel, und damit sich der lange Aufstieg gedanklich besser einteilen lässt, hat man auf den kleinen schattigen Hügel direkt darunter die Hanauer Hütte hingestellt. Auf das zweite Frühstück ebendort fokussiere ich mich erstmal.
Der Plan geht leider nicht ganz auf, ich schlage pünktlich zur Vormittagszwischensaison dort auf. Der Kuchen ist gerade im Rohr, der Suppentopf noch kalt…
Also nach kurzer Trinkpause weiter, die Dremelscharte (es gibt deren übrigens eine östliche und eine westliche, der Nordalpenweg wählt letztere) schaut eigentlich gar nicht so weit weg aus. Doch durch den schottrigen Aufstieg (Motto: zwei Schritte vor, einer zurück) verlängert sich der Weg dann doch beträchtlich.
In der Scharte gibt’s als Belohnung den ersten Blick auf den Steinsee. Hübsch hier! Als Gipfelziel gäb’s die Dremelspitze, aber das muss heute nimmer sein. Lieber Pause.
Der Abstieg macht dann klar, warum der Lechtaler Höhenweg als der anspruchsvollste Teil des Nordalpenwegs gilt. Ohne das Stahlseil möchte ich hier nicht unbedingt owikraxeln müssen.
Wieder auf gemächlicheren Wegen steige ich am Steinsee vorbei zur Steinseehütte ab, wo um 14:30 Uhr das letzte Wanderfoto des Tages auf meiner Speicherkarte landet.
Eine Herkulesaufgabe wartet dann noch mit der Portionsgröße des Kaiserschmarrns auf mich. Gleich dreimal will man den halbleeren Teller abservieren – aber nicht mit mir! ICH SCHAFFE DAS! Nur mit dem Abendmenü macht der Wirt dann kein Geschäft mehr mit mir… 😉
Tag 50: Steinseehütte – Memminger Hütte
Heute wird ein langer Tag, der mit 8 Stunden im Wanderführer angeschrieben ist. In der Mitte gäb’s zur Etappenteilung zwar das Württemberger Haus, aber das wird gerade um- und ausgebaut und es steht heuer (und auch nächstes Jahr) nicht zur Verfügung (nicht mal die Trinkflaschen kann man dort auffüllen).
Ich bin wieder mal der erste am Frühstücksbüffet und auch der erste, der hier in Richtung Westen startet. So wie ich das überblicke, kann man die WanderInnen, die heute zur Memminger Hütte gehen an zwei Händen abzählen.
Zuerst muss ich hinauf in eine namenlose Scharte, gleich mal 350 Höhenmeter zum Aufwärmen. Als ich oben bin, sehe ich einen Wanderer, der mich vor wenigen Minuten überholt hat, bereits weit vor mir. Hmmm, ich bin mir eigentlich recht flott vorgekommen.
Auf der anderen Seite quert der Weg durch ein weites Kar relativ eben hinüber unter die Rosskarscharte. Wie ich dort dann allerdings raufkommen soll, ist mit freiem Auge lange nicht zu erspähen – geht dann aber (unter Zuhilfenahme der Hände) relativ problemlos.
Ein Stahlseil leitet auf der anderen Seite wieder steil hinab. Mit einem deutschen Wanderer kraxle ich hier gemeinsam – und doch mit großem Sicherheitsabstand – hinunter. Stabiler Fels wechselt mit losem Geröll, Steine sind hier schnell losgetreten…
Der nächste Abschnitt gibt sich wieder sanfter, langsam nähern wir uns dem Gebäudjoch, wo es die letzten Meter zwar auf vorwiegend grüner Wanderunterlage, aber „schirch steil“ raufgeht. Blick zur Baustelle des Württemberger Hauses, wo dann Halbzeit wäre.
Und auch hier: der Abstieg ist schottrig-rutschig – Aufpassen! Knapp vor der Hütte treffe ich die einzigen „Entgegenkommerinnen“ des heutigen Tages.
Beim Württemberger Haus steigt der deutsche Wanderer wegen Fußproblemen ab, es formt sich aber gleich ein loses vierköpfiges Grüppchen für die zweite Tageshälfte. Gemeinsam rätseln wir, wie wir das nächste Hindernis überwinden, die logische Scharte scheint wieder einmal unerreichbar zu sein.
Erneut durch ein langes Kar aufwärts und erst knapp vorher wird klar: die Scharte ist gar nicht unser Ziel, der Weg holt nach rechts aus und führt auf dem Grat zum Gipfel daneben. Nicht unspektakulär. Der Gipfel ist übrigens die Großbergspitze und – sofern man auf den niedrigeren Routenvarianten des Nordalpenwegs bleibt – der höchste Punkt zwischen Neusieder See und Bodensee, 2657 Meter sagt die Alpenvereinskarte.
Der Blick nach vorn verspricht aber schon weitere Abenteuer: der unwesentlich niedrigere Großbergkopf weist eine kurze aber seeeeehr luftige Passage auf. Mir taugt’s, aber das muss man schon mögen.
Einmal geht’s noch, und zwar zur Seescharte (2599 m). Der lange Weg durch Schotterhänge zehrt schon an den Kräften, aber von oben ist die Memminger Hütte bereits zu sehen.
Nochmal steil runter und nach all der Plagerei geht’s dann den letzten Kilometer auf einem fast schon kitschig lieblichen Wanderweg zur Hütte (na, immerhin besser als sie hätten noch eine seilversicherte Scharte eingebaut).
Ad Memminger Hütte, ich will mal das Positive herausstreichen: für diesen Auflauf (ups, da sind wir doch schon beim Negativen) ist sie verdammt gut organisiert.
Hier verläuft nämlich der Europäische Fernwanderweg E5 und der ist unseren nördlichen Nachbarn eine der allerliebsten Routen über die Alpen. Daher sind hier die ganz großen Abenteurer gleich gruppenweise (erkenntlich an den Einheitsrucksäcken mit der Aufschrift „Alpenüberquerer“) unterwegs, bereitwillig lernen sie von uns wichtigen Tricks des Hüttenlebens (z.B. den geldwerten Unterschied zwischen den chemisch identischen Drinks „Skiwasser“ und „Bergsteigergetränk“) und revanchieren sich damit, uns so stolz wie ungefragt ihre Fotos („Kuck, heute habe ich ein Murmeltier fotografiert!“) unter die Nase zu halten. Auch das muss man wollen, kann man aber eh nicht vermeiden (die nächste Hütte wäre 6 Std. weiter).
Tag 50: Memminger Hütte – Parseiertal – Madau
Mit Schlafplatz Nr. 148 (!) hab ich wohl das letzte Bett ergattert und das schon im dicht gepackten Winterraum. Wieder mal: früh raus, beim schnellen Zusammenpacken „erwische“ ich auch das Haarteil meines Liegeplatznachbarn – es dauert ein wenig, bis ich realisiere, was ich da in der Hand habe. Aber ich bin aber so nett und lasse ihm seinen Pepi da. 😉
Eigentlich hatte ich den direkten Abstieg nach Madau auf dem Plan, noch vor meinem Aufbruch war der Nordalpenweg hinunter zum Parseierbach laut allen Informationsquellen gesperrt. Der DAV Memmingen dürfte zwischenzeitlich aber fleißig gewesen sein.
Also abwärts, steile, feuchte, erdige Wiesenhänge machen das Gehen zu einem Eiertanz. Dann lässt mich ein abgesperrter Weg stutzig werden: sieht eigentlich bestens ausgetreten aus, ist aber mit Flatterband und „Sackgasse“ verziert. Hat das vielleicht doch was mit dieser Wegsperre zu tun? (Nein, hat es nicht, Auflösung nächstes Mal).
Das letzte Stück zum Parseierbach wird dann wieder so wie ich’s mag, seilversichert auf schmalem Weg, eine Brücke über einen tiefen Graben.
Beim Bach muss ich dann die Nordalpenwegsmarkierung verlassen, schließlich will ich heute noch nach Hause kommen. Also wende ich mich talauswärts, folge dem Bach bis ich nach zwei Stunden bei der Talstation der Materialseilbahn zur Memminger Hütte komme.
Jetzt brauche ich mich nur mehr meinen Schicksal zu ergeben, 11 Kilometer talaus-Straßenhatscher erwarten mich, mir graut schon beim Gedanken, das nächstes Mal nochmal alles in die Gegenrichtung gehen zu müssen.
Doch ich habe Glück, bald kommt mir ein vollbesetztes Auto entgegen und als dieses wieder talaus fährt, strecke ich meinen Daumen raus. Stellt sich heraus: es ist das offizielle Hüttentaxi, das mich für kleines Geld mitnimmt und im Ort Bach im Lechtal wieder rauslässt.
Von dort geht’s gleich dem Bus weiter nach Elmen, mit dem nächsten Bus über’s Hahntennjoch nach Imst und mit dem Zug über Salzburg nach Graz. Und um 20:30 Uhr stehe ich zuhause unter der Dusche. Ich glaube der Fachausdruck hierfür lautet „wie am Schnürchen“.
Viel genauer kann ma nit die Kamera auspacken 🙂
Hahntennjoch:
https://www.vergissmi.net/wp-content/uploads/2017/08/tmp_8407-IMG_20170815_0821291820773215-800×450.jpg
Beim Würtemmberger Haus ist da ein paar Meter von der Hütte weg eine “Naturdusche” (man kennt das ja – Bacherl fällt 2 m auf Dich runter). Dort auch nix mit Trinkwasser?
(Foto: https://www.deine-berge.de/fotos/tour/original/Wuerttemberger-Haus-Hanauer-Huette_8583.jpg )
Super! Definition von weitwandern inkl. den immer wundersamen Wirren der An- und Abreise.
4/5 weil kein Foto von Murmeltier, komme aber gerne wieder
“mit dem nächsten Bus über’s Hahntennjoch nach Imst und mit dem Zug über Salzburg nach Graz. Und um 20:30 Uhr stehe ich zuhause unter der Dusche. Ich glaube der Fachausdruck hierfür lautet „wie am Schnürchen“”
Könnte Dir in Deutschland/mit der Deutschen Bahn nicht passieren 😉
Da sind Abenteuer (auch auf österreichischem Staatsgebiet) immer inklusive 😮
Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch,
K2.