Ein Wochenende faules Nichtstun seit der letzten Etappe am Zentralalpenweg ist genug. Ein angekündigtes dreitägiges Schönwetterfenster muss für die Etappe durch die Tuxer Alpen genutzt werden.
Früh – wirklich früh – beginnt der Tag in Graz, den ersten Zug von Jenbach ins Zillertal will ich erwischen.
Nach vier Stunden Fahrt gilt es vor Ort erst herauszufinden, wie man zu einem Berechtigungsschein für den P+R Parkplatz kommt. Den hat hier jeder im Auto liegen, ansonsten Besitzstörungsklage, bla bla bla, Ihre ÖBB!
Die Lösung ist denkbar einfach: am Fahrkartenautomaten einfach mitdrucken lassen.
Tag 33: Hippach – Rastkogel – Weidenerhütte
Um 7:17 Uhr lande ich also am Bahnhof von Hippach, genau dort, wo unser Pinzgauer Spaziergang vergangene Woche geendet hat. Doch der Tag ist bereits jetzt lang und das Frühstück war mager. Das werde ich heute noch zu spüren bekommen…
Die ersten 750 Höhenmeter nach Mösl macht man auf der Zillertaler Höhenstraße, wesentlich angenehmer und verkehrsärmer als der letzte Abstieg auf der anderen Talseite. Trotzdem etwas, was ich schnell hinter mich bringen will. Dass noch der Nebel von den letzten Niederschlägen im Tal hängt, stört dabei nicht.
Weiter hinauf zur Rastkogelhütte verläuft der Weg über einen Mix aus Feldwegen und Wanderwegen, je nachdem, wieviele Abkürzungen man nimmt.
Auf den letzten Metern zur Hütte spüre ich schon meine etwas limitierten Kraftreserven, daher kehre ich ein und gönne mir ein warmes Supperl. Der Weiterweg ist dann erstmal relativ flach.
Der Gipfel des Rastkogels leidet jedoch unter dem den Steirern bekannten Gleinalmspeik-Syndrom: Jedes mal, wenn man meint, endlich oben zu sein, taucht dahinter oder daneben ein neuer Spitz auf. Vielleicht liegt’s aber auch nur an meinem maroden Zustand – alle 10 Höhenmeter stehenbleiben und schnaufen. Dazu kommt, dass sich der Gipfelbereich meist in Wolken hüllt…
Dafür darf ich mich über einen Deutschen vor mir amüsieren, der sich von einem neugierigen Rudel Kühe bedroht fühlt und auf einen Felsen flüchtet. Der NRW-Wanderer später am Gipfel: “Haste das mit den Kühen gesehen?” – “Ich bin ja in ihr Revier eingedrungen, hat sie das verärgert?” – “Ich hab ja auch rote Schuhe an…”. Jo, sicher…
Der Abstieg zur Weidener Hütte ist nur mehr Formsache, das Wetter ändert sich nur mehr wenig.
In der Hütte kann ich meine leeren Energietanks wieder aufladen und gehe sehr früh ins Bett, morgen – nach 11 Std. Schlaf am Stück – wird die Welt schon wieder anders ausschauen.
Mit 2100 Höhenmetern war das sicher der mühsamste Aufstieg am 02er bisher – was allerdings nicht nur am Weg liegt, ich hätte doch schon gestern ins Zillertal aufbrechen sollen.
Tag 34: Weidener Hütte – Lizumer Hütte – Lizumer Reckner – Matrei
7 Uhr – Blick aus dem Fenster – wäääääh – schon wieder alles grau. Welcher notorische Lügner hat denn diesmal den Wetterbericht verfasst?
Allerdings versichert mir die Wirtin, dass es sich “nur” um Nebel handelt und zwischendurch schon blau durchgeblitzt hat. Weiter oben ist es ganz sicher schön…
Ja, weiter oben, dort muss ich aber erstmal hinkommen.
Vorbei an der Grafennsalm steigt der Weg steil hinauf zum Grafennsjoch (Krovenzsjoch). Man merkt, hier ist schon tiefstes Tirol, aus den Scharten sind Joche geworden.
Aber je weiter ich hinaufkomme, desto öfter weicht das Grau tatsächlich einem schönen Blau.
Da trifft es sich schlecht, dass ich wieder zur Lizumer Hütte absteigen muss. Doch mittlerweile wärmt die Sonne so stark, dass sich der Nebel schneller auflöst als ich Höhenmeter verlieren kann.
Das Bundesheer hat hier in der Wattener Lizum einen großen Spielplatz, gelbe Sperrgebiets-Tafeln warnen vor Gefahr während der “Schießzeiten”. Und heute wird tatsächlich scharf geschossen, aber nur in einem Bereich, der mich nichts angeht, erkärt mir der Wirt auf der Lizumer Hütte.
Nachdem ich bei der Lizumer Hütte meinen Flüssigkeitsbedarf gestillt habe, beginnt der Aufstieg zum höchsten Punkt am 02er bisher.
Es wartet der Geier mit 2857m.
Nach 700 Höhenmetern am Vormittag sind nun 850 fällig, die Müdigkeit von gestern ist zum Glück vergessen.
Der Weg verläuft ohne Schwierigkeiten, einzig eine unklare Abzweigung sorgt für eine Quergeröllfeldein-Einlage. Oben komme ich drauf: Es hätte mich auch der “falsche” Weg zum Ziel geführt…
Am (vom Gipfelgeier abgesehen) äußerst unspektakulären Gipfel des Geiers halte ich mich nicht lange auf. Gleich daneben steht nämlich mit dem Lizumer Reckner der höchste Punkt der Tuxer Alpen. Etwa 30 Minuten kostet der Abstecher.
Aus der Ferne sieht der Aufstieg recht anspruchsvoll aus, aber durch einige Versicherungen kommt man problemlos hinauf. Interessant ist das Gestein (Serpentinit), es sieht aus und fühlt sich an wie Glas.
Mit ein Grund, warum ich hier herauf will, ist, dass es wohl der letzte Punkt auf meiner Route ist, von dem aus man den Gipfel des Großglockners sehen kann – zumindest ergaben das meine Recherchen mit dem Panoramarechner im Vorfeld.
Und genau dieses Foto würde ich gerne machen, doch leider spielt das Wetter nicht mit, zuviele Wolken sind im Weg. Daher gibt es nur einen virtuellen Blick zur Großglockerspitze (hier der Link zum Panorama mit Beschriftung):
Durch die Untere Knappenkuchl geht es – wegfindungstechnisch nicht ganz einfach – weiter zur Naviser Hütte.
Hätte ich diese als Übernachtungsort in Betracht gezogen, hätte ich jetzt ein Problem: Statt der Hütte gibt’s nur eine Baustelle, von der das allwissende Internet wieder mal nichts weiß…
Aber ich will sowieso bis nach Navis hinunter – mit dem Plan, dort am Ende einer 11-Stunden Etappe in einem schönen Gasthof zu übernachten…
Wie es scheint, gibt es in Navis aber entweder Nur-Gasthäuser oder Nur-Zimmervermieter. Pendeln möchte ich heute eigentlich nicht mehr. Frei nach dem Motto “wird schon was kommen” spaziere ich weiter, es folgen ja noch einige Ortschaften.
Leider stellt sich das Tal aber als gänzlich wirtshauslos heraus, daher “darf” ich den ganzen Hatscher bis nach Matrei am Brenner noch anhängen (think positive: das alles brauche ich morgen nicht mehr zu gehen) wo ich bei der erstbesten Gelegenheit in ein großes Haus mit den fünf Buchstaben H-O-T-E-L am Dach einfalle, die vier Sternchen fallen mir erst beim Zimmerpreis auf…
Aber da nach fast 13 Stunden Marsch (und etwa 2700 Hm im Abstieg) der Unterschied zwischen Zimmer haben und Zimmer suchen ein gewaltiger ist, bleibe ich hier.
Nach der – herrlichen – Dusche geben mir meine Knie und Fusssohlen zu verstehen, dass ich heute nirgends mehr hinzugehen habe, nichtmal die zwei Stockwerke hinunter ins Restaurant. Das werde ich aber kalorientechnisch beim Frühstücksbuffet nachholen, versprochen!
Tag 35: Matrei – Fulpmes
Durch den gestrigen ausgedehnten Abendspaziergang erwartet mich heute nur mehr eine kurze Etappe. Über die Wallfahrtskirche Maria Waldrast wechsle ich ins Stubaital, dabei sind “nur” etwa 600 Höhenmeter zu überwinden. Alles harmlos und unspektakulär.
Vom Bahnhof in Fulpmes bringt mich die Stubaitalbahn ins Tal, eine etwas “alpine” Straßenbahnlinie, die direkt ins Zentrum von Innsbruck führt. Eine schöne und aussichtsreiche Fahrt!
Ob das für heuer wohl die letzte Etappe am 02er war? In vier Tagen wäre das Ötztal zu erreichen, vielleicht bring ich die im Herbst noch wo unter…