4 Uhr Wecker, 4:15 Uhr Frühstück, 5 Uhr Start. So lautet der Plan für unsere heutige Großvenedigerbesteigung. Und wieder einmal nehmen wir den Normalweg nur für die ersten wenigen Minuten.
Draußen ist es noch dunkel, als es logehen soll, daher sticht LaVic vor dem Start noch schnell ihre Trinkblase auf und schindet so für uns alle ein paar Minuten heraus. Doch dann gehen wir gemeinsam – wir versuchen es bereits ohne Stirnlampen – hinauf in Richtung Zwischensulzbachtörl.
Als wir den Gletscher erreichen, verlassen wir den Weg und wenden uns nach rechts. Die Zunge dieses Teils des Obersulzbachkees wollen wir queren. Steigeisen werden angelegt, die ersten Schritte sind etwas ungewohnt, speziell im steileren Gelände.
Gerald führt uns sicher durch das Spaltengewirr, einige Male müssen wir trotzdem kurz zurücksetzen, da sich immer wieder Spalten vor uns quer legen. Wir erreichen aber bald das andere Ufer des kleinen Eismeers und es folgt wieder eine Fels- bzw. Geröllpassage. Steigeisen runter. Steigeisen rauf, das Spiel wiederholt sich.
Wir steigen ein 30 Grad steiles (gefühlt sind es eindeutig mehr!) Eisfeld hinauf, bis wir den – noch recht harten – Firn erreichen. Steigeisen runter, dafür kommt ab sofort das Seil zum Einsatz.
Ich habe die Ehre, die Seilschaft aus rutschger, LaVic, Orotl und mir anzuführen und hätte mich somit freiwillig als potentielles Spaltenopfer gemeldet. Doch zum Glück haben wir den Orotl mit!
Vorbei an so mancher eindrucksvollen Spalte gewinnen wir an Höhe. Die Seilschaft vor uns ist in diesem Moment wohl froh, gerade nicht selbst zu sehen, wo sie sich befindet.
Die großen Spalten überqueren wir problemlos – wenn nötig auf allen Vieren. Die kleinen, über die wir gelegentlich drübersteigen und -springen müssen, entpuppen sich da als wesentlich trickreicher…
Ein harmloses Spalterl, welches rutschger, LaVic und ich elegantest überspringen, reisst aber plötzlich bei Orotl seinen Rachen weit auf und verschluckt ihn fast zur Gänze (ja, ich bin sicher, genau so muss es gewesen sein!)
Hoooo-Ruck! Mannschaftszug ist angesagt! Geh bitte, warum hat es grad den Orotl erwischen müssen und nicht einen von uns Federgewichten? Hoooooooo-Ruck! Fixteiflnoamal, is der schwer… Hoooooooooooo-Ruck! Unter Aufbietung aller Kräfte hieven wie Orotl aus seinem kalten Spalt!
+++ Eilmeldung +++ Eilmeldung +++
2011-08-17, GROSSVENEDIGER. Ein stark schnaufender Mann stürzte im Laufe des Vormittags am Großvenediger 120 cm tief in eine Gletscherspalte.
Er steckte fest und konnte sich selbst nicht mehr befreien, wurde aber mittels enormer Kraftanstrengungen von zwei zufällig anwesenden Nixtuern und einem Gipfelraster gerettet. “Mit dem Hintern saß ich auf einer Schneebrücke” wurde der Gestürzte später zitiert.
Mittlerweile beginnt die Sonne den Schnee zu erweichen, wir brechen bei jedem zweiten Schritt durch die Schneedecke. Nur mühsam kommen wir voran, und doch erreichen wir irgendwann den Westgrat des Venedigers und haben endlich wieder festen Boden unter den Füßen.
Nun beginnt die Kletterei (II-ter bis III-ter Grad), 200 Höhenmeter weiter oben wartet bereits der Gipfel auf uns.
Irgendwann steige ich die letzte Seillänge vor, hole Orotl nach. Vor uns liegt nur mehr ein Firngupf, gerade mal fünf Meter hoch. Wir wissen: Dahinter steht das Gipfelkreuz!
Ich will dorthin, überlasse Orotl das lästige Seilaufnehmen (schließlich hab ich’s die meiste Zeit getragen) und stapfe dem Gipfel entgegen. Ein paar Schritte – und da steht es! So oft hab ich Fotos vom Gipfelkreuz und dem “berühmten” Firngrat gesehen und jetzt steh ich selber da. Einfach nur geil!
Ich freu mich!
Außer uns sind keine andern Bergsteiger hier heroben, die Normalweg-Geher sind längst wieder am Weg nach unten. Diesen Gipfel eine dreiviertel Stunde für sich alleine zu haben gelingt auch nicht alle Tage.
Bevor wir uns an den Abstieg machen, muss rutschger noch eine ganz besondere Mutprobe bestehen. Er meistert sie jedoch bravourös, da kann man nur mehr gratulieren! 😉 Update: Ein Jahr später muss er die Folgen seines Leichtsinns ausbaden – nochmals Gratulation von dieser Stelle!
Am Weg hinunter geht es zuerst über den berühmt-berüchtigten Firngrat – zu dieser Tageszeit ist er aber absolut harmlos zu begehen. In den Morgenstunden, ungespurt, bei hartem Schnee könnte er aber durchaus interessant sein.
Der weiche Schnee macht uns aber zunehmend zu schaffen, immer wieder sinken wir bis zur Hüfte ein. LaVic setzt sich einmal so fest, dass sie behauptet, “ihren Fuß ausgraben” zu müssen.
Den langen Weg hinaus über das Obersulzbachkees bezeichnen wir als Death Valley. Eine (Eis-)Wüste, die Sonne brennt von oben herab, der Gletscher reflektiert sie von unten – und wir sind für den Fall eines Ausrutschers dick uns fest eingepackt.
Bevor wir den Gletscher verlassen, wartet noch ein letzter Zick-Zack-Lauf auf uns, um unseren Weg an den vielen querliegenden Spalten vorbei ans “Festland” zu finden.
Nach insgesamt 13 Stunden erreichen wir wieder die Kürsingerhütte. Was für eine Tour!
Die Nixtuer haben – wie immer – unseren Ausflug auf den höchsten Berg Salzburgs in einem großartigen Video aufgearbeitet:
Ich verneige mein Haupt in Ehrfurcht.
Nach 11 Jahren kann ich endlich wieder erhobenen Hauptes Richtung Uhrturm schauen!