Ich Idiot verliere bzw. vergesse meinen Ehering im Yoga Studio. Und er taucht nicht mehr auf. Nach zwei Wochen ist er immer noch verschwunden, das wird wohl nix mehr. Mann hängt dann doch sehr an so einem Symbol.
Und so sitze ich zu Ostern in der Kirche und denk mir, wenn er wieder auftaucht gehe ich nach Mariazell…
Nun bin ich persönlich ja weder verheiratet noch betreibe ich Yoga. Aber diese Zeilen finden Mitte April in meinem elektronischen Postfach. Der Absender: Ernst, mit dem ich in den 80ern die Schulbank drücken durfte.
Den Rest der Geschichte kann man sich denken, andernfalls wäre dieser Bericht nie geschrieben worden. In der Kurzfassung: Ring wieder da, was bleibt ist diese Sache mit Mariazell.
Und Ernst will, dass ich als Begleiter anheuere, das ist mir natürlich ein Volksfest! Um die Nägel gleich mit Köpfen zu versehen, vereinbaren wir ein 5-tägiges Zeitfenster im Mai und ich versorge ihn mit dem notwendigen Informationsmaterial.
Je näher der große Dienstag kommt, desto schlechter fällt die Wetterprognose aus. Den ersten Tag könnten wir noch halbwegs trocken davonkommen, danach ist mit Dauerregen zu rechnen. Sogar die Schneefallgrenze kommt in Reichweite! Rundum wird mir abgeraten, insgeheim rechne auch ich mit Ernsts Absage.
Doch diese bleibt aus und mir bleibt nichts als pflichtbewusst um Punkt 10 Uhr am Grazer Hilmteich zu warten, wo der Steirische Mariazellerweg seine Markierung wieder aufnimmt.
Erster Tag: Auf den Grazer Hausberg
Nach einer 45-minütigen Verzögerung – ganz einig über den genauen Treffpunkt waren wir uns wohl doch nicht – marschieren wir vom Hilmteich schließlich los. Durch den Leechwald und über den Roseggerweg erreichen wir bald die Basilika Mariatrost. In unserer Kindheit herrschte dort am Vorplatz noch Jahrmarktstimmung, heute machen die geschlossenen Verkaufsstände einen eher traurigen Eindruck.
Nach dem kurzen Abstieg vom Kirchberg verlassen wir Graz, über den Lichtensternweg und die Föllingerstraße erreichen wir den am Hang des Hauensteins gelegenen Sternwirt. Doch für eine Einkehr ist es jetzt noch zu früh.
Am Weg hinunter nach Weinitzen macht sich bei Ernst plötzlich ein schleifendes Geräusch bemerkbar. Der Grund dafür: beide (!) Schuhsohlen beginnen sich an der Ferse zu lösen. Und das nach gerade mal zehn Kilometern…
So werden wir Mariazell nicht erreichen. Nach kurzer Beratung unserer Optionen entscheiden wir uns für eine Shoppingtour, allzu weit ist die Stadt ja noch nicht entfernt. Wir rufen ein Taxi zum Ortsrand von Niederschöckl, der nette Fahrer bringt uns in ein Shoppingcenter im Norden von Graz und gleich darauf wieder zurück. Dieser Reifenwechsel kostet uns in Summe etwa 90 Minuten, dann sind wir – frisch besohlt – wieder am Weg.
Über Wiesen und durch Wälder führt uns der Weg nach Rinnegg, wo wir den offiziellen Pilgerweg verlassen und beschließen, den Schöckl in einem weiten Bogen nach Westen zu erklimmen. Diese Variante über die Erhardhöhe ist zwar etwas länger, aber – wie ich finde – wesentlich schöner als der vielbegangene Normalweg über St. Radegund.
Am Fuße des Novysteins nehmen wir uns auf einer Bank kurz Zeit um etwas zu jausnen. Doch ein paar Regentropfen später packen wir unsere sieben Sachen schon wieder hektisch zusammen, die Reste der Jause nehmen wir unter dem Dachvorsprung eines nahegelegenen Bauernhauses ein.
Der Gewitterschauer entpuppt sich als heftig aber kurz, schon bald können wir uns auf den steilen Weg zum Novystein machen. Der weiße Obelisk am Gipfel wurde 1883 von dankbaren Curgästen dem Wohlthäter vieler Leidenden, dem grossen Meister der Wasserheilmethode, Doctor Gustav Novy gewidmet und stellt einen herrlichen Aussichtspunkt dar.
Am Weg zur Erhardhöhe spielen kurze Regenschauer mit uns das lustige Jacke-an-Jacke-aus-Spiel, ernsthafte Niederschläge bleiben aber für den Rest des Tages aus, im Gegenteil, schon bald scheint wieder die Sonne.
Die Gipfelwiese auf den Schöckl tut, was sie am besten kann: Sie zieht sich! Nach einem endlos scheinenden Aufstieg stehen wir aber doch irgendwann vor dem Gipfelkreuz. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Stubenberghaus, wo wir heute übernachten.
Zweiter Tag: Ein Sommer auf der Alm?
Das reichhaltige Frühstück lassen wir uns bereits um 7 Uhr servieren damit wir so früh wie möglich in Richtung Sommeralm starten können. Der Tag beginnt auch mit einem Lichtblick: obwohl großteils bedeckt, ganz so schlecht wie angekündigt ist das Wetter nicht! Und das möchten wir nutzen, so lange es hält.
Nach einem erneuten Abstecher zum Gipfelkreuz steigen wir hinunter zum Schöcklkreuz, bereits zu dieser frühen Stunde nehmen zahlreiche Wanderer den Weg auf den Schöckl in Angriff. Ein längerer Straßenabschnitt bringt uns nach Burgstall. Erst beim finalen Abstieg nach Arzberg streifen wir wieder durch kniehohes Gras und steilen Wald. Mittlerweile bei strahlendem Sonnenschein. Wetter, bleib uns bitte gewogen!
Von dort müssen wieder auf der Straße marschieren, immer entlang der jungen Raab. In Passail stocken wir unsere Vorräte auf und nehmen am Marktplatz eine gesunde Pilgermahlzeit ein – je zwei saftige Leberkässemmeln wandern in unsere Mägen.
Punkt 12 Uhr verlassen wir den Ort nach Norden, bald zweigen wir nach rechts in den Wald ab. Nahe Kriechenlee verlassen wir den Asphalt endgültig. Dafür wartet nun der steilste Aufstieg der Tour auf uns. Bis knapp unterhalb der Ochsenhalt führt der Weg in fast gerader Linie nach oben.
Inmitten der weiten Almflächen wartet die Ochsenhalthütte auf durstige Wanderer. Im Notfall könnte man in der einfach eingerichteten Hütte sogar übernachten, aber in der unbewirtschafteten Unterkunft wartet vor allem ein feiner Getränkevorrat! Frucade, Eistee, Himbeerkracherl, eine freiwillige Spende wird dafür eingehoben, neben der Hüttentür hängt eine kleine Kassa. Da sich die dunklen Wolken noch fernhalten, können wir uns eine ausgiebige Pause durchaus leisten.
Auf angenehmen Almwegen marschieren wir weiter, lediglich der Schwarzkogel will noch erobert werden. Bald erblicken wir das Windrad auf der Sommeralm, ein sicheres Zeichen, dass es nicht mehr weit sein kann.
Am letzten Kilometer müssen wir uns doch noch sputen. Die Wolken haben aufgeholt, bringen aber vorerst nicht mehr als feinen Nieselregen zustande. Erst als wir im Alpengasthof Derler die Tür hinter uns schließen öffnet der Himmel seine Schleusen – und macht sie die ganze Nacht nicht mehr zu. Ob das morgen noch was wird?
Dritter Tag: Nebel, Blasen und ein Ständchen
Der dritte Tag beginnt genauso wie der zweite geendet hat. Draußen stürmt es, Regentropfen prasseln an die Fenster.
Bis nach Mitterdorf im Mürztal müssen wir heute 36 Kilometer zurücklegen. Ob wir das schaffen werden bzw. überhaupt wollen, bin ich mir noch nicht sicher. Spätestens dort werden wir ohnehin abbrechen müssen, denn der weitere Weg auf und über die Hohe Veitsch ist bei dieser Wettervorhersage nicht anzuraten.
Für den Moment scheint Petrus jedoch mit uns ein Einsehen zu haben, es regnet nur leicht als wir den Gasthof verlassen. Unangenehm ist eher der starke Wind. Das normalerweise weithin sichtbare Windrad hingegen freut sich darüber. Versteckt im dichten Nebel rotiert es hörbar mit hoher Schlagzahl.
Da wir heute mehrere Einkehr- und auch Abbruchmöglichkeiten am Weg haben, spricht trotz der widrigen Bedingungen nichts dagegen, vorerst ein Stück weiterzugehen. Erstes Ziel: der Wirt am Strassegg.
Die Sommeralm ist bei schönerem Wetter sicher ein lohnendes Wanderziel, heute bekommen wir jedoch nur die unmittelbare Umgebung des Wanderwegs zu Gesicht. An einer Wegkreuzung treffen wir auf einen alten Bekannten, der Zentralalpenweg 02 begleitet uns nun für einige Stunden. Etwa zeitgleich hört es auch zu regnen auf.
Vorbei am Haberlstall gelangen wir zum Pöllabauerkreuz, zwischendurch tauchen immer wieder spontan Kühe aus dem Nebel auf, meist nicht wirklich gewillt, uns den Weg zu überlassen. Ein kurzer Anstieg in die Flanke des Mitterbachkogels und schon geht es nur mehr bergab zum Strosseggerwirt.
Da erfahrungsgemäß bei einem solchen Wetter die Pausen im Freien gerne ausfallen, kehren wir bereits hier auf ein heißes Getränk ein. Im Wirtshaus treffen wir auf eine weitere Wallfahrergruppe, gemeinsam werden wir vom Strossegger-Rudl mit seinen legendären Geschichten beglückt. Seit meinem letzten Besuch vor vier Jahren hat sich deren Inhalt nicht wesentlich verändert. Eine weitere Konstante: Ohne Abschiedsständchen auf der Ziehharmonika kommt man hier nicht davon!
Und: während wir beim Wirten sitzen, kämpft sich kurzzeitig die Sonne durch die Wolken. Was ist denn diesmal mit dem Wetterbericht los?
Ein feines Stück Mariazellerweg folgt nun, ich freue mich immer, wenn ich hier unterwegs sein darf. Ohne größere Steigungen verläuft der Weg parallel zum Hang bis in den Knappensattel. Wald wechselt sich mit großartigen Almwiesen ab. Selbst ohne Fernsicht gefällt es mir hier.
Ernst wird unterdessen immer langsamer. Wie es seinen Füßen geht frage ich besser nicht, sein Gang spricht Bände. Das frisch erstandene Schuhwerk war wohl doch nicht die beste Wahl.
Kaum haben wir die schöne Herrnalm hinter uns gelassen, fällt der entscheidende Satz: Weit geh’ i heut’ nimmer! Honigschlecken ist es mit Blasen auf den Füßen und einer blauen Zehe sicher keines. Da werden wohl die Sünden groß gewesen sein…
Somit ist bereits beim Gasthof auf der Schanz Schluss für dieses Mal. Der Rest des Weges läuft uns ja nicht davon.
Mit der Rückfahrt haben wir Glück. Lediglich eine einzige Busverbindung gibt es hier pro Tag, doch nur zwanzig Minuten später rollen wir in genau jenem Postbus talwärts. Die Bahn bringt uns anschließend von Kindberg zurück nach Graz.
Auch wenn es vorerst nur für den halben Weg (etwa 70 von 130 km) gereicht hat, hat es mir wieder ausgezeichnet gefallen. Auch ohne die Fuß- und Schuhprobleme wären wir diesmal nicht viel weiter gekommen, unser Wetterglück haben wir ohnehin ordentlich ausgereizt.
Ich freue mich jedenfalls schon auf die zweite Hälfte!
pfuh, der schmäh mit ehering und yoga ist gelungen 🙂
Also was du mir schon wieder zugetraut hast…
Wie immer ein sehr feiner Bericht!
Merci vielmals. Aber um diese Tour schlechter zu beschreiben müsste ich lügen!
Ein sehr schöner Weg! Der hätte sich besseres Wetter verdient…
Wir sind ja hier nicht beim Servus Magazin, wo ganz Österreich unter einer Käseglocke zu liegen kommt. Der ein oder andere “Makel”, und sei es nur ein Paar kaputter Wanderschuhe, machen Tour und Bericht ja erst zum (Lese-)Abenteuer!
Und bei Schönwetter kann diesen Weg ja sogar ein Weitwanderanfänger gehen! 😉
Herrliche BIlder und lustig-launige Bericht Eures Weges 😉
Das mit dem Wetter kann schon passieren. Hatte auf meinen Mariazellerwegen auch schon viel Regen, Gewitter, Hagel, eben alles was zu einer Wallfahrt gehört. Hab vor mal die letzten zwei Etappen des steirischen Mariazellerweges zu gehen. 5 Tage pack ich nicht.
Gruß und weiterhin schöne Wanderungen und gutes Wetter
Werner
Alles was passieren kann, passiert auch!
Für die letzten Etappen des Steirischen Mariazellerweges wünsche ich dir jetzt schon viel Spaß – und Wetterglück!
Wirklich toller Bericht, regt unglaublich an eine Tour zu starten.
Danke!
Liebe Grüße, Florian
Na dann, nix wie los!