Frage: Kann man in der Stadt sinnvoll wandern? Damit meine ich nicht Touren im umliegenden Grüngürtel sondern vom zentralen, urbanen Teil des Gemeindegebiets. Häuser. Straßen. Beton. Und so.
Einfach von A nach B zu marschieren ist natürlich keine große Kunst. Aber abgesehen davon, dass ich grundsätzlich gerne einen Fuß vor den anderen setze: Wie sieht es dabei mit Spaßfaktor und Naturerlebnis aus? Geht das?
Ich bin sicher nicht der erste, der sich diese Frage stellt. Aber wenn man sogar durch ganz Los Angeles wandern kann, dann wird das wohl auch in meiner kleinen, feinen Heimatstadt Graz möglich sein.
Start und Zielpunkt auf verschiedenen Seiten der Stadt sind schnell gefunden: Im steirischen Pilgerweg nach Mariazell klafft im Bereich der Stadt Graz eine große Lücke, Weitwanderern wird hier die Benutzung der Straßenbahn nahegelegt. Aber immerhin: Unentwegte, welche zu Fuß durch Graz wandern wollen, müssen dafür zwei Stunden veranschlagen meint der Wanderführer.
Die angegebenen zwei Stunden lassen auf die Betonvariante schließen, welche den Gleisen der Straßenbahn folgt. Eher langweilig.
Ich möchte da eine ‘bessere’ Route finden und schon die Planung macht mir großen Spaß – ja, ich beschäftige mich gerne mit Karten! Meine Kriterien lauten:
- Wo gibt es das meiste Grün?
- Graz darf zeigen, was es hat!
- Trotzdem will ich einen Kompromiss zwischen direkter und schönster Route finden.
Los geht’s in Alt-Eggenberg, dort endet die Markierung des Mariazellerweges. Wochentags könnte ich mich gleich in der Gärtnerei der Schulschwestern mit frisch geerntetem Obst und Gemüse stärken, doch heute, Samstag wandere ich die Georgigasse stadteinwärts und biege bei erster Gelegenheit nach rechts ab.
Das Schloss Eggenberg bietet zusammen mit seinem großen Park die erste Gelegheit für klassisches Sightseeing, ich begnüge mich mit einem Blick durch die Gitterstäbe des Tors. Beschattet von den großen Platanen der Eggenberger Allee marschiere ich bis zur Kreuzung bei der Fachhochschule und noch ein paar Schritte weiter.
Nach links in die Pommergasse und rechts in die Daungasse wandere ich die Straßenbahnremise Alte Poststraße entlang. Mehrere Generationen Grazer Straßenbahnfahrzeuge gibt es hier zu bewundern.
Vorbei an der Schrebergartenanlage Steirischer Panther halte ich auf den denkmalgeschützten und frisch renovierten Wasserturm zu. Gleich dahinter verbirgt sich der Zugang zum Hauptbahnhof, wo ich in den Untergrund abtauche. Noch vor ein paar Jahren wäre diese Route unmöglich gewesen, denn diesen Eingang zur Grazer Nahverkehrsdrehscheibe gibt es erst seit kurzem.
Eine Baustelle zwingt mich, über einen der Bahnsteige zwischen Railjet und Eurocity in den Personentunnel Süd hinüberzuwechseln, aus dem ich direkt in die seit 2003 künstlerisch gestaltete Haupthalle des Bahnhofsgebäudes hinauf steige.
Unter dem Golden Eye am Bahnhofsvorplatz hindurch gehe ich zur Kreuzung Bahnhofgürtel/Keplerstraße, hier treffe ich wohl auf den mit Abstand meisten Verkehr des heutigen Spaziergangs.
Ein paar Meter die nach dem Astronomen benannte Straße hinunter und bei der ersten Ampel rechts abgebogen und schon komme ich in ruhigere Gefilde und zum Eingang des Metahofparks. Schräg durch den Park hindurch und vorbei am Gebäude der Arbeiterkammer erreiche ich die nächste Grünoase.
Der Volksgarten ist weit besser als sein Ruf, gerade laufen hier die Aufbauten für ein Fest. Am anderen Ende des Parks bin ich schon fast am Lendplatz, wo vormittags einer der schönsten Bauernmärkte der Stadt stattfindet. Ein Becher süß-reifer Erdbeeren findet den Weg in meinen Rucksack.
Dort bleibt er nicht lange, denn durch ein paar schmale Gassen gelange ich zum Ufer der Mur und eine Fußgängerbrücke bringt mich auf die Murinsel, die streng genommen ein Schiff ist. Darauf gibt’s ein Cafe samt Amphitheater. In letzterem nutze ich die Hinterbänke, um die roten Früchte aus dem Rucksack in meinen Bauch wandern zu lassen.
Die Stärkung ist auch notwendig, denn nun steht ein anstrengender Aufstieg bevor. Viele Stufen und im Fels angelegte Steige führen auf den Grazer Schlossberg. Es stehen zwar auch ein Lift und eine Standseilbahn zur Verfügung, ich wähle aber den Kriegsteig, den Jubiläumssteig sowie den Major Hackher Weg um hinauf aufs Plateau zu kommen. Hier, 123 Meter über dem Hauptplatze und 475 Meter über dem Adriatischen Meere lässt sich die Aussicht in alle Richtungen genießen.
Der Schlossberg ist der einzige Abschnitt, wo ich mir einen größeren Umweg erlaube. In Form eines großen “Z” passiere ich alle nennenswerten Sehenswürdigkeiten: Kasematten, Glockenturm, Kanonenbastei, Türkenbrunnen, Uhrturm. Vorbei am Franzosenkreuz komme ich schließlich auf die ruhigere Seite des Schlossbergs.
Im großen Stadtpark nütze ich die Gelegenheit, den Asphalt für kurze Zeit gegen weicheren Untergrund zu tauschen. Noch als ich ein Kind war – böse Zungen behaupten, das ist noch nicht allzu lange her – war das Betreten der Wiesen nicht erlaubt. Vorbei am Stadtparkbrunnen gehe ich zur Glaßisstraße, die ich bei der Fußgängerampel quere.
Von dort gehe ich nicht direkt in die Zinzendorfgasse, sondern mache einen Schwenk nach links zur Leechkirche und dem Gemeinschaftsgarten Allmende Leech. Jeder, der will, darf hier anbauen und natürlich auch ernten.
Beim Sonnenfelsplatz nach links abbiegend komme ich zur Karl-Franzens-Universität und durch die Universitätsgebäude hindurch in die Johann-Fux-Gasse. Nach rechts in die parallel führende Schubertstraße gewechselt und schon bin ich in der Zielgeraden. Vorbei am Botanischen Garten – ich werfe lediglich einen kurzen Blick in eines der Gewächshäuser, notiere mir aber die Öffnungszeiten – komme ich nach drei Stunden am Hilmteich an.
Für heute ist meine Tour hier zu Ende, denn hier nimmt der Weg nach Mariazell wieder seine Markierung auf. Nicht mal ein Monat ist es her, dass ich drei Tage darauf unterwegs sein durfte.
Fazit: Ich behaupte, das Experiment ist gelungen!
Auch wenn ich zu 99% auf Asphalt unterwegs war, die meiste Zeit war rechts oder links reichlich Grün vorhanden. Nimmt man sich für die Sehenswürdigkeiten entlang der Route Zeit, fällt der Spaziergang schnell tagesfüllend aus. So lasse ich mir eine Stadtbesichtigung durchaus gefallen und einmal als Tourist in der eigenen Stadt unterwegs zu sein war eine ganz neue Erfahrung.
Ich muss auch eingestehen, so manchen Park und das ein oder andere Gässchen heute das erste Mal betreten zu haben – nach 43 Jahren in Graz! Einiges war mir gänzlich fremd.
Zum Abschluss kann ich noch eine Karte meiner Route bieten und der GPS-Track darf auch nicht fehlen.
P.S. Ich liebe diese Stadt!
…und der kleine Pedant in mir freut sich, dass die Lücke im Mariazellerweg endlich geschlossen ist! 😉
Sehr schön! Bin früher in Wien auch quer-durch-die-Stadt gewandert, man lernt dabei immer wunderbare Winkerl kennen.
Und das ist jetzt die Gert’sche Mariazeller-Variante durch Graz?
*feierlich dreinschau*
I hereby declare the City-Route 06 to Mariazell ***Trommelwirbel*** OPEN!
*Band durchschneid*
*Applaus*
Also ich find das super! Und wie ja schon einmal angedacht, wäre ich da sicher mitgegangen, da ich überzeugt davon bin, dass Du Dir da eine lässige Route zusammengebracht hast.
Die Idee, die Wegführung den 06er-Wanderern vorzustellen, find ich gut und hätte vielleicht auch fürn 05er in Linz Potential.
a) Nächstes Mal wennst in Graz bist!
b) Dafür, aber there is no 05er in Linz.
Ja stimmt, i bring die Wegerl schon a bisserl durcheinander. Aber Leute wie Du, die sich an solchen Spitzfindigkeiten reiben, wissen eh, welcher Weg gemeint ist, anstatt hier einem gestandenen Weitwanderer Salz in seine Wunden zu schütten! 🙂
🙂 🙂 🙂
Grüß Dich Gert,
Ob man in der Stadt sinnvoll wandern hast Du mit dieser Deiner Graz Stadtwanderung und den herrlichen Bildern aus Graz eindeutig bewiesen! Man Kann!
Sah mir auch den GPS-Track an. Kann das mit den Höhenmetern stimmen?
Hab Wien auch schon mal von Norden nach Süden sowie Ost-West durchwandert. Fand das schön und wie Du anmerkst man kommt in Stadtgebiete die man eigentlich noch nie sah – kannte 😉
Herzlichen Gruß
Werner
Hallo Werner! Yes, we can!
Ich denke, die Höhenmeter hat das GPS in den engen Häuserschluchten (und den Tunneln des Bahnhofs) zu großzügig gemessen.
Es werden so knapp 200 sein. Allein der Aufstieg auf den Schlossberg vom Nivau der Murinsel aus “verbraucht” 130-140 davon. Plus ein paar Stufen hier und da und ein bissl bergauf geht’s zum Hilmteich auch.
Durch Wien bin ich auch schon mal gewandert. Auf der Donauinsel, da bekommt man von der Stadt fast gar nichts mit…
Gert
Und schon bin ich die Tour nachgegangen. 🙂
Bernhard
Sehr brav. Freue mich jetzt auf deinen Bericht!