Ruhe und Einsamkeit suchende Wanderer werden am Dachsteinplateau bestens bedient, die Nähe der Gipfelaspiranten und des Gletschertrubels sollten sie dabei jedoch tunlichst meiden. Aber ganz im Osten des weitläufigen Gebirgsstocks ragt ein von der Tourismusindustrie bisher vergessener Gipfel aus der kargen Landschaft.
Auf den 2051m hohen Hirzberg führen keine Wanderautobahnen, die gepunkteten Linien auf den Karten enden alle im Abseits. Dort, fernab jeder Menschenseele und doch umringt von einem großartigen Panorama werde ich heute mein Zelt aufschlagen.
Das Ende der Straße auf den Stoderzinken ist ein guter Ausgangspunkt für diese Tour. Bis zum Großglockner reicht der Blick von hier, den ich wohl von ganz oben noch viel besser knipsen kann. Was ich nicht bedenke: Dort stellt sich mit dem Dachstein der höchste Steirer in den Weg, somit bleibt’s bei dem einzelnen halbherzigen Glocknerfoto.
Vorerst verläuft der Weg für längere Zeit bergab. Zuerst hinunter zur (geschlossenen) Brünnerhütte, ab dort auf dem Dachstein-Rundwanderweg in Richtung Guttenberghaus. An einer unscheinbaren Wegkreuzung wird nach rechts abgezweigt, wären da nicht die Wegweiser hoch an einem Baum, hätte ich sie glatt übersehen. Inmitten der Hochwiesmahd, einer wohl einst von Vieh beweideten Waldlichtung, befindet sich die einzige brauchbare Wasserstelle auf der Tour.
Für ein paar Meter folge ich der Zufahrtstraße der hiesigen Almen, dann schickt mich ein Wegweiser wieder in den Wald.
Durch die Notgasse – ist geritzt!
Die Notgasse ist eine enge Felsklamm, nach der letzten Eiszeit von den abfließenden Wassermassen aus dem Kalkgestein herausgelöst. Viel interessanter noch ist sie aus kulturgeschichtlicher Sicht, beherbergt sie doch in den Fels geritzte Zeichnungen (Petroglyphen) aus mehreren Epochen.
Am Beginn der Notgasse weist ein Wegweiser zum Hirzberg. Doch dort wohin er zeigt ist kein Weg zu erkennen, nur unberührter Waldboden. Typisch Hirzberg!
Ich möchte den Gipfel ohnehin vom jenseitigen Ende der Notgasse in Angriff nehmen und wende mich somit in die andere Richtung. Als erstes darf ich mich ins Notgassenbuch eintragen, hier treffe ich auch die einzigen Wanderer am heutigen Tag.
Aufstieg zum Hirzberg
Am Ende der Notgasse beginnt linker Hand ein schwach ausgeprägter Steig. Er wird mich dem Hirzberg zwar ein gutes Stück näher bringen, jedoch im Bereich des Hochtischl enden. Ab dort muss ich sehen, wie ich alleine zurechtkomme.
Der Steig ist zwar nur selten begangen, doch sieht man ihm an, dass er einmal gut ausgebaut war. Welchem Zweck der Weg ins nirgendwo einst gedient haben könnte, bleibt jedoch sein Geheimnis.
Den (oder das?) Hochtischl erreiche ich nie. Auch wenn der Übergang fließend ist, der Steig wird immer unscheinbarer, in Gegenzug verdichtet sich die Anzahl der Steinmänner. Diese alpinen Wegweiser leiten mich am Hochtischl vorbei und begleiten mich fast ganz hinauf zum Hirzberg.
Nach einer Weile verbindet uns eine echte Männerfreundschaft. Sofort breitet sich eine gewisse innere Unruhe in mir aus, sobald ich keinen Steinmann mehr in meiner Nähe sehe.
War ich bisher recht flott unterwegs wird das Tempo zunehmend langsamer. Einerseits ist das der wiederholten Suche nach dem jeweils nächsten Steinmann geschuldet und andererseits wird das Gelände zunehmend rauer und zerklüfteter. Und zwangsweise werden die Pausen häufiger.
In einer solchen schließe ich Bekanntschaft mit einer Hummel, die meine verschwitzte Körperoberfläche wohl als ergiebige Nahrungsmittelquelle betrachtet. Zu unser beider Pech tut sie das heimlich, nach einer unbedachten Bewegung wird meine Kniekehle für sie zum unfreiwilligen Gefängnis.
Ich lerne schnell: Die Hummelsprache macht mir einen sehr einsilbigen Eindruck, doch die Botschaft He! Lass mich da raus! wird von meinen Schmerzrezeptoren umso eindringlicher übertragen.
Wie es scheint, kommen wir beide ohne bleibende Schäden davon. Ein geschwollenes Bein könnte ich im Moment eh nicht brauchen, da fällt mir ein: Die modernen Segnungen des Mobilfunkempfangs sollte man auf dieser Tour höchstens auf dem Gipfel einplanen.
Den immer schütterer werdenden Wald habe ich hinter mir gelassen. Der verbliebene letzte Kilometer Luftlinie ist durch vom Wasser zerfressenen Kalkgestein und undurchdringlichem Latschendickicht geprägt. Der unendliche Formenreichtum dieser Karstlandschaft fasziniert mich ungemein, nichts desto trotz ist konzentriertes Steigen angesagt. Auch hier: Ein Überknöcheln käme jetzt sehr ungelegen!
Schließlich zwänge ich mich durch die letzte Latschengasse und erreiche einen steilen Wiesenstreifen, der zum Gipfel hinauf zieht. Um morgen auch sicher wieder den richtigen Eingang in das Latschenlabyrinth zu finden, baue ich mir zur Orientierung einen eigenen Steinmann.
Endlich oben
Auf den letzten Metern zum Gipfel bin ich schon ziemlich erschöpft, 4:45 Stunden durch wildes Gelände habe ich herauf gebraucht.
Zudem bereitet mir mein Wasservorrat Sorgen, von dreieinhalb Litern habe ich bald die Hälfte verbraucht, mit dem Rest muss ich noch knapp 24 Stunden auskommen. Unter dem Gipfel liegen jedoch zwei Schneefelder, notfalls kann ich mir dort Nachschub holen.
Im Vorfeld hatte ich Befürchtungen, im Gipfelbereich keine ausreichend ebenen Plätze für mein Zelt finden. Was sich jedoch als unbegründet erweist, hinter dem Gipfelkreuz wartet eine große Liegewiese auf mich, bloß der Badesee dazu fehlt.
Das Panorama ist atemberaubend, rundherum ist ganz viel nix. Und dahinter viele Berge, den Nachmittag verbringe ich mit fröhlichem Gipfelraten. Ich traue mich zu behaupten, dass ein Umkreis von mindestens zwei Kilometern ganz alleine meiner Anwesenheit gehört. Etwa in dieser Entfernung befindet sich die nächstgelegene Alm, angesichts der Unwegsamkeit des Geländes ist das ein mehrstündiger Marsch.
Abendliche Wetterkapriolen
Das Wetter hier heroben ist zweigeteilt: sonnig im Norden, im Süden bewölkt. Für kurze Zeit weht der Wind ein paar Tropfen zu mir, doch der Schauer geht schließlich über dem Ennstal nieder. Gegen Abend scheinen sich die Wolken wieder aufzulösen.
Doch zu früh gefreut, Petrus hat nur zu einem Täuschungsmanöver geblasen: Schnell zieht sich der Himmel wieder zu und wenige Minuten später finde ich mich inmitten eines heftigen Sturmtiefs wieder. Alle “vereinzelten Wärmegewitter Westösterreichs” (© ZAMG) gehen nun vereint über mir nieder.
Es blitzt und donnert rundum, der Wind zerrt unaufhörlich an meiner Behausung. Ein Härtetest fürs Zelt und kein Spaß für mich, aber alles geht vorbei und als mich wieder ins Freie wagen kann, ist die Sonne bereits lange hinter dem Horizont verschwunden. Zeit also, mich endgültig in den Schlafsack zu verkriechen.
Obwohl mir der Wind fast die ganze Nacht erhalten bleibt, finde ich trotzdem in einen erholsamen Schlaf. Am Morgen hat es wieder aufgeklart, für den Sonnenaufgang krabble ich aber viel zu spät aus den Federn.
Was mich aber wirklich erstaunt: Bereits um 7 Uhr hat der Gipfel zwei Besucher. Und das auf meinem, einsamen Berg!
Abstieg
Wenn ich könnte, würde ich ewig hier bleiben. Doch es kommt die Zeit, um an den Abstieg zu denken. Am Weg zurück zu meiner Markierung von gestern entdecke ich eine zweite durch Steinmänner markierte Route.
Nicht unberechtigt ist die Hoffnung, dass mich diese zu dem Wegweiser bei der Notgasse bringen wird. So beschließe ich, ihnen zu folgen. Im Großen und Ganzen klappt das auch ganz gut, die Steinhäufchen führen mich in die gewünschte Richtung.
So wie gestern werden die Steinmänner irgendwann weniger und Steigspuren immer deutlicher. Bis diese jedoch in der Mitte des hiesigen Nirgendwo plötzlich unvermittelt enden – oder ich sie einfach verliere…
Grob falsch kann ich nicht unterwegs sein, daher steige ich weglos weiter hinunter. Um die Felsabbrüche der Notgasse zu vermeiden ist es wohl klug, mich eher rechts zu halten. Nach einer Frühstückspause komme ich zu einer unbewaldeten Senke, diese lässt sich auch auf der Karte identifizieren.
Das Ende der Senke ist der Startpunkt eines Steigs, welcher mich zu der gestern schon gequerten Zufahrtstraße bringt. Nach fünf weiteren Minuten stehe ich vor dem hölzernen Notgassen-Wegweiser, ab hier gelange ich auf demselben Weg zum Stoderzinken zurück den ich gestern hergekommen bin – zu meinem Leidwesen nun die meiste Zeit bergauf.
Alles andere als wohlfeil ist übrigens die Fahrt über die Stoderzinken’sche Alpenstraße, 13 Euro Wegezoll will der Schranken bei der Ausfahrt einbehalten. Gegen Kostenwahrheit im Straßenverkehr ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden und durch Konsumation in einer der Gastwirtschaften lässt sich der Preis auf 10 Euro drücken.
Zumindest in der Theorie, denn in meinem Fall sind die ermäßigten Tickets plötzlich “ausverkauft”. Ein Schelm…
Zum Abschluss stelle ich für nachfolgende Hirzbergaspiranten die GPS-Tracks zur Verfügung. Viel Spaß!
- GPS Track Aufstieg: Stoderparkplatz – Notgasse – Hirzberg.
- GPS Track Abstieg: Hirzberg – Stoderparkplatz.
I like – very much!
Bin jederzeit zu einer Wiederholung bereit – nur das Gewitter muss ich nicht noch einmal haben.
Dann gemma am besten wenn die ZAMG ein murdsdrumm Gewitter ankündigt.
Wow, das liest sich ja toll und erst die Bilder …
Da würde ich ja am liebsten gleich morgen losstarten, aber es gibt zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit.
Wie lange hast Du denn für den Abstieg benötigt ?
Runter waren’s etwa 4 Stunden, darin sind aber zwei längere Pausen enthalten.
Apropos Abstieg: Am Weg zurück zum Stoderparkplatz macht man noch mal einige Höhenmeter.
Super. Bist du selber auf die Idee gekommen oder hast du einen Tipp gehabt? Hintergrund: für mich ist gerade ein Zelt in der Post…
Konkret spiele ich seit langem mit dem Gedanken einer (weglosen) Durchquerung des Dachstein-Plateaus, da wurde ich auch auf diesen Gipfel aufmerksam. Und einen Geocache gibt’s dort auch (weiß nicht mehr, was davon Henne und was Ei war)
Hallo, habe leider ein Problem mit dem Download der gpx Datein. Könntest du sie mir bitte per Mail zukommen lassen? An dem Cache auf dem Hirzberg wäre ich nämlich sehr interessiert.
LG Daniel
Du hast Post! 😀