Einen einzigen Tag auf Tour. Ist das schon Weitwandern oder kann das weg?
Gut, es sind ein paar Umstände zusammengekommen. Freitag abends wohnen wir einer Sponsion in St. Pölten bei, schielen dabei natürlich auf den samstäglichen Wetterbericht für den Weitwanderweg 08. Dieser ist etwas wackelig, aber nicht zu wackelig. Die Etappe lang, aber nicht zu lang. Die Quartiere voll, aber nicht zu voll.
So kommt es, dass wir Samstag 9 Uhr wieder an der Staumauer des Kraftwerks Ybbs-Persenbeug stehen. Dort wo wir im Mai nach vier Tagen Waldviertel den Hut draufgeworfen haben.
Im Gegensatz zum Wetterbericht wackelt das Wetter nur kurz: Die einzigen Regentropfen fallen, während wir beim Bäcker, in dessen Pension wir auch in unserem 3-Minuten-später-und-es-wäre-weg-gewesen-Zimmer übernachtet haben, die Jause für den Tag besorgen. So sieht man uns bei bereits passablen Wetterverhältnissen erst die Donau, dann den Ort Ybbs hinter uns lassen.
Wieder einmal bestätigt sich, was so gar nicht nach einem Werbespruch fürs Langstreckenwandern klingen will:
Weitwandern ist Geographieunterricht im Zeitlupentempo.
Hier lernen wir über die Neustadtler Platte, einer hügeligen Rumpflandschaft, die auf einer Seehöhe von 420 bis 570 Metern ein hügeliges Hochplateau mit herausragenden Kogeln bildet (so Wikipedia). Genau da platteln wir nämlich heute durch und schämen uns, von dieser hübschen Landschaft noch nie gehört zu haben.
Am Ybbser Panorama-Wissenspfad dürfen wir simultan die Skyline der Stadt als auch jene des Ostrongs im Hintergrund bewundern.
Auf dem heutigen Abschnitt ist der Weg ausgezeichnet markiert. Und selbst wenn wir einmal die 08er-Taferln missen müssen, hilft uns der Österreichische Jakobsweg aus der Patsche.
Das lässt auch auf Begehungszahlen hoffen, die für einen gut ausgetretenen Weg sorgen werden. Aber dass uns die Vegetation mancherorts dann doch ganz dicht Spalier steht, können auch die Jakobiwanderer nicht verhindern.
…dafür aber mancher Rasenmäher.
Ein flüchtiger Blick auf die Karte hat uns im Vorfeld verraten, dass der eine oder andere Asphaltkilometer das Wandervergnügen trüben könnte. Aber erstens: es kommt weniger schlimm als befürchtet.
Und zweitens: wenn schon schwarze Wege, dann so!
Von einer Anhöhe zeigt sich auf den Hügeln im Hintergrund bereits Neustadtl an der Donau. Dort wäre wanderführergemäß die Etappe bereits zu Ende, für uns ist dort aber bestenfalls erst Halbzeit, denn wir werden bis zum nächsten Bahnhof weiterwandern. Das ist – und da flunkert unser Büchlein ein wenig – fast noch einmal soweit.
Für ein bisschen Zeitverlust sorgen Orientierungsprobleme knapp nach dem Anwesen Rothberg. Vermutlich unsere eigene Schuld, auf dem Baum wäre ja doch eine schöne Markierung gewesen. Aber letztlich finden wir auch so in den Graben des Willersbachs und auf der anderen Seite wieder hinauf.
Dunkler Wald, grüne Wiese, blauer Himmer. Fotomotiv! Aber irgendwas fehlt…
Geh mach mir doch bitte schnell den Sound of Music!
Heute ist unser Weg gespickt mit Rastplätzen zur rechten und zur linken. Vielleicht haben wir auch dies dem Jakobsweg zu verdanken, auf jeden Fall aber diese Einkehmöglichkeit, welche uns freundlich begrüßt.
Eine gut gefüllte Bar, wer braucht da schon eine Wasserleitung…?
Am Kühlschrank liegt ein Pilgerbuch, natürlich nütze ich die Gelegenheit auf den gähnend leeren Seiten Aufklärung darüber zu betreiben, dass hier nicht nur der Jakobs- sondern eben auch der Eisenwurzenweg vorbeiführt. Und selbstverständlich gönnen wir uns einen Schluck der eisgekühlten Hopfenlimonade.
Jawohl, Hopfen. Limonade.
Dass Helen und ich diversen Wetterphänomenen meist eine unterschiedliche Ernsthaftigkeit beimessen ist beim Wandern nichts ungewöhnliches. So auch hier: Während ich in dieser Pause unbeschwert die hübschen Schäfchenwolken hinter den Hopfenfläschchen bewundere, erzählt mir die liebste Mitwanderin von allen vom aufziehenden Unwetter.
Obwohl, hinter mir tut sich tatsächlich was…
Sobald die Wolken diese charakteristischen Fransen bekommen, ist es ratsam ein Dach aufzusuchen oder anderweitig hinfortzukommen. Und hat man bereits ausreichend Hopfen intus, wendet man sich tunlichst besser an die öffentliche Verkehrsmittel.
Doch – nüchtern betrachtet – tragen diese hier nur wenig vertrauenswürdige Namen…
Aber bald ist Neustadtl zum Greifen nah und wir blicken bereits wieder auf blauen Himmel.
Naja, halb blau zumindest.
Hoppla, da sind sie wieder!
Wir bleiben trocken und just in dem Moment als wir in Neustadtl an der Donau einmarschieren, spielt die örtliche Blasmusik auf. Gut, bei der 24-Stunden Wanderung ist mir das angemessen erschienen, aber jetzt am frühen Nachmittag?
Doch das fröhliche Umtata gilt nicht uns, eine Hochzeitsgesellschaft versucht gerade mit tatkräftiger Unterstützung der Feuerwehr einen entwendeten Brautstrauß vom Kirchendach zu holen und vielleicht ein paar Blitze vom Himmel dazu.
Doch beim Brautpaar funkt es nicht und während die Hochzeiter noch im siebten Himmel weilen, eilen wir ins Gasthaus um uns Suppe und Stempel zu holen. Denn schon bald wird hier die Küchenlogistik angesichts der hungrigen Festgäste aus den Fugen geraten.
Nun dreht unser Weg nach Süden (schließlich ist sein Ziel ja die kärntnerisch-italienische Grenze) und wir wandern vorwiegend bergab mit prächtigem Blick auf die Alpen.
Wobei mir solche Formulierungen im Wanderführer immer etwas Kummer bereiten. Vorwiegend heißt ja nicht ausschließlich, und immerhin so viel des jeweiligen Gegenteils, dass es den Autoren eine Erwähnung wert war. Doch an dieser formschönen Kreuzung ist man mit dem bergab führenden Weg auf der sicheren Seite.
Die Gegensteigungen bleiben im erträglichen Bereich, werden gelegentlich sogar mit einem Suchspiel gewürzt. In diesem Waldstreifen müssen wir eine Brücke über den Bach finden. Die hinweisende Markierung lässt sich leider von einem Haselnussstrauch verdecken.
Zumindest für die heurige Wandersaison habe ich diesen Missstand im Vorbeigehen wieder gerichtet: nachfolgende Wanderer dürfen frohlocken, während der Haselnusserne nun etwas geknickt dasteht.
Trotzdem muss man schon wissen, wonach man sucht. Denn die “Brücke” ist wirklich gut versteckt…
Mittlerweile hat die Quecksilbersäule mehr Höhenmeter zurückgelegt als unsereins. Da nehmen wir erfreut zur Kenntnis, dass unser Wanderbücherl für den Weg nach Viehdorf versehentlich 9 statt 6 Kilometer veranschlagt hat. So wird die ersparte Gehzeit zur Sitzzeit, in Viehdorf wollen wir uns nun bei einem Eis abkühlen.
Unser Pech ist: Das Wirtshaus ist geschlossen.
Unser Glück ist: Schaut doch der Wirt gerade beim Fenster heraus.
Unser Pech ist: Sein Dasein als Pensionist hat just heute, an diesem ersten Julitag begonnen.
Unser Glück ist: Der frisch gebackene Pensionär lässt Gnade walten, bald sitzen wir vor zwei Eisbechern. Und eine nette Unterhaltung gibt’s kostenlos dazu.
Frisch gestärkt begeben wir uns auf die letzten Kilometer nach Amstetten. Mehrmals fechten wir noch einen Strauß mit der Markierung aus und lernen die Gräben und Wälder um Amstetten näher kennen als uns lieb ist.
Aber nehmen wir das mal auf unsere Kappe, der Wandertag ist bereits lang und heiß…
Durch den Spitalswald erreichen wir den Hinterhof von Amstetten. Nicht weit ist es bis zur Herz-Jesu-Kirche, wo wir den Weitwanderweg verlassen und in wenigen Minuten zum Bahnhof spazieren.
Per Bahn & Bus und dann noch eine halbe Stunde zu Fuß stehen wir wieder bei der Kraftwerksmauer von Ybbs-Persenbeug.
Anscheinend hat sich der Haselnusserne wieder erfangen. Nach erfolgloser Suche nach dem Bachübergang musste ich weiter links mit der Straßenbrücke vorlieb nehmen.