Wir schreiben den 24. Juni 2020. Jener Tag, an dem ich die 412-tägige Schaffenspause am Voralpenweg 04 offiziell für beendet erklären kann. Rund zwei Drittel des Weges von Wien nach Salzburg liegen bereits hinter mir, nun ist es Zeit, den Sack endlich zuzumachen.

Der (erste – haha, little did we know…) Corona-Lockdown ist mittlerweile den Lockerungen gewichen, einiges ist neu am Berg: Reservierungspflicht auf Hütten, der eigene Schlafsack ist mit dabei. Und mit dem Höllengebirge liegt eine besonders reizvolle Landschaft und das alpine Highlight am 04er vor mir. Also los!

Tag 13: Ebensee – Rieder Hütte

Um 11:15 Uhr lande ich in Ebensee, hinter dem Bahnhofsschild zeichnet sich schon das erste Kapitel des heutigen Wandertages ab. Den Aufstieg über den langgezogenen Rücken will ich auf dem Gipfel links der Kirchturmspitze mit einem Mittagessen belohnen.

Der Ort ist schnell durchquert und die ersten Wegweiser sind rasch gefunden. Ein paar Stufen führen mich aus dem Siedlungsgebiet…

Die paar Stufen…

So kann man sich irren: Unerwartete 260 Stufen werde ich in den Beinen haben, bevor der Wanderweg richtig beginnt. Das lässt mich zwischendurch am Wegesrand schon die erste Pause einlegen – natürlich nur um die Stöcke vom Rucksack zu nehmen. Gute 1100 Höhenmeter am Stück liegen zwischen Ebensee und Feuerkogelhaus – für 2020 eine Premiere.

Oh, sogar mit Klettersteigeinlage! 😉

Die Geschichte mit den Höhenmetern erweist sich als mühsames Spiel, am Wegesrand hängen regelmäßig Tafeln mit Höhenangaben, die regelmäßig eine kleine Enttäuschung bereithalten. Jedesmal fühlt sich die bereits erklommene Steigung nach mehr an als das Schild dann verkündet…

Aber halbwegs konstant geht’s nach oben und auf exakt 980 Metern Seehöhe – das bedeutet höhenmetertechnisch etwa Halbzeit – lädt die “Hohe Rast” zum Verschnaufen ein – ich lasse mich nicht zweimal bitten. Bei sehenswertem Blick auf den Traunsee und den Traunstein im Hintergrund wandern zwei Bananen rucksackerleichternd in meinen Magen.

Die Hohe Rast

Vorbei an einer Skilift-Station – ein Hoch auf den Architekten, dessen bunkerartige Betonbauweise clever die trotzige Leugnung des Klimawandels durch die hiesige Menschheit symbolisiert – geht’s wieder in den Wald, bis im oberen Bereich endgültig Skipistenwandern angesagt ist.

Klotz.
Skipistenwandern

Mit der Kranabethhütte passiere ich den ersten Vorboten des Hüttendorfs am Feuerkogel. Verlockend, aber ich nehme gleich den Durchmarsch bis zum Feuerkogelhaus in Angriff. Dort endlich: Schnitzel, Hollersaft & Stempel.

Im Schlepptau der Seilbahnwanderer
Der Traunsee, der Traunstein und Gmunden (links hinten)

Von Wien bis hierher war der Voralpenweg ein mehr oder weniger lieblicher Wanderweg, nun zieht er ganz andere Saiten auf. Das Höllengebirge ist ein wilder Kalkstock, stark verkarstet, kaum Wasser. Daher befinden sich seit meinem Abmarsch drei Liter Wasser in meinem Rucksack, die mir morgen gute Dienste leisten sollen.

Der gut ausgebaute Spazierpfad endet an einem Wegweiser, ab sofort muss jeder Tritt sitzen. Auch wenn es nur wenige Möglichkeiten gibt, irgendwo hinunterzufallen: Spalten, Rinnen und Löcher hingegen, in denen man sich den Fuß auf vielfältige Art verletzen kann sind zahlreich vorhanden.

Und Gründe, den Blick vom Weg abzuwenden gibt es genug: die grau-grüne Landschaft aus Latschen und Kalkstein gibt eine tolle Wanderkulisse ab.

Ende der Ausbaustrecke…

Zwei Stunden werde ich noch bis zur Rieder Hütte benötigen, die das Versteckspiel übrigens ausgezeichnet beherrscht. Hinter gefühlt hundert Kuppen und nach ebenso vielen Ecken des Wanderwegs taucht sie dann jedesmal doch nicht auf. Da kann sich noch so sicher sein, dass es nun nicht mehr weit ist. Aber erst beim “Rieder-Hütten-Blick” ist es soweit, und da ist dann die Hütte schon zum Greifen nah.

Pause am Totengrabengupf
Ja, wo ist sie denn, die Hütte?
Da ist sie!

Mit Auf dich haben wir schon gewartet! begrüßt mich das Hüttenwirtspaar, denn das Abendessen schmort bereits im Ofen. Eine kurze Verschnaufpause ist mir aber noch vergönnt, bevor das dreigängige Menü kredenzt wird.

Die Rieder Hütte
Der Tag macht Schluss.

Einen Radler nach dem Essen halte ich in der Gaststube noch durch, dann geht es früh zu Bett.

Tag 14: Rieder Hütte – Hochleckenhaus

Gestern habe ich die Frühstückszeit noch auf sieben Uhr heruntergehandelt, doch daraus wird nichts. Geschlafen habe ich weder besonders gut noch lang, seit es draußen hell ist, liege ich wach in meinem Schlafsack.

Ich beschließe, das Frühstück nicht abzuwarten, schreibe den Wirtsleuten einen Zettel und lege den geschätzten Rechnungsbetrag auf den Tisch, bei eventuellen Nachforderungen möge man sich an mich wenden.

Um 6:15 Uhr breche ich auf, auch da sich am Nachmittag das Wetter zum feuchteren wenden soll.

Los geht’s – sogar mit einem bisschen Sonnenschein

Auf fünf bis sechs Stunden schätzen die Wegweiser die Gehzeit zum Hochleckenhaus, möge diese Prognose ebenso halten wie der Wetterbericht.

Motivationstechnisch ist der Weg äußerst undankbar angelegt. Die Wegverhältnisse sind gleich mühsam wie gestern und zweimal werden erst mehrere hundert Höhenmeter abgestiegen, nur um diese dann kräftezehrend wieder zurückgewinnen zu müssen. Passieren sollte hier nichts, ich werde auch den ganzen Tag keine anderen Wanderer treffen.

Aber landschaftlich ist es einfach ein Traum!

Vorsicht! Hier kann man sich mehr verletzen als nur den Fuß…

Der Doppelgipfel links ist der Grünalmkogel – da muss ich heute noch (fast) ganz rauf
Auch hier ist danebensteigen eher unvorteilhaft…

Vorerst geht es einmal zwischen den Gipfeln von Hochhirn und Eiblkogel hindurch, bevor der Brunnkogel auf der Nordseite umrundet wird. Immer steiler und durch immer ausgeprägtere Karstformationen steige ich hinab zum ersten Tiefpunkt des heutigen Wegabschnitts. Zeit für eine Pause.

Blick zum Langbathsee
So ein Fuß ist hier schnell verknackst!
Ganz unten, von nun an geht’s wieder bergauf – aber wo?
Den Markierungen folgen!
Ohne Hände kein Weiterkommen.

Die Pause währt nur kurz, denn bald setzt ein leichter Nieselregen ein, was beim Gehen zwar recht angenehm, beim Sitzen hingegen zu kalt ist. Wobei: von Gehen kann hier abschnittsweise keine Rede sein, nicht selten benötigt man alle Viere, um weiter zu kommen.

Blick zum Traunstein

Die zweite Pause wäre für den Gipfel des Grünalmkogels vorgesehen gewesen, aber mein Magen fordert schon vorher eine Nachfüllung. Auch diese Rast wird von einem kurzen, leichten Schauer zeitlich begrenzt.

Wäre ein schöner Pausenplatz gewesen…
Ziel in Sicht – in der Bildmitte das Hochleckenhaus!

Der Grünalmkogel liegt nur einen kurzen Abstecher von meiner Route entfernt, ein schöner Rastplatz lädt ein. Was aber ebenfalls einlädt – und zwar zum zügigen Weitergehen – ist eine Regenwolke, die sich im Westen genau über dem Schafberg ihrer feuchten Last entledigt.

Dafür ist das Hochleckenhaus weniger g’schamig als die Rieder Hütte gestern, es ist von hier aus bereits gut zu sehen.

Über’m Schafberg schaut’s nicht freundlich aus.

Gut zu sehen ist aber auch der beinahe 500 Höhenmeter tiefer liegende Pfaffengraben, mein zweiter Tiefpunkt von heute. Deutlich mehr als eine Stunde benötige ich hinunter, etwa die Hälfte dieser Höhenmeter muss ich anschließend wieder hinauf.

Der lange Abstieg lässt mich an einen Wanderfreund denken, der genau hier einen Bergrettungseinsatz ausgelöst hat.

Mitten im Abstieg in den Pfaffengraben

Sich ebenfalls unter dem Druck eines herannahenden Schlechtwetters beeilend, ist er hier gestolpert und unglücklich gestürzt, was ihn zu einem Notruf veranlasst hat. Er hat es dann zwar aus eigener Kraft noch bis zum Hochleckenhaus geschafft, wo er aber schon von den Bergrettern in Empfang genommen und sofort ins Tal geleitet wurde.

So ein Manöver brauche ich heute (und sonst auch) nicht, mit dem Mobilfunkempfang ist es hier ohnehin schwierig und außer mir ist niemand auf dieser Strecke unterwegs. Mein Ausbleiben würde wohl frühestens am Abend auffallen, wenn niemand meine Reservierung am Hochleckenhaus wahrnimmt.

Endlich ganz unten!
Weitere Stolperfallen…
Quelle im Pfaffengraben

Der Gegenanstieg ist zwar steil, aber ohne große Hindernisse und so sitze ich bald unter dem Jagerkogel neben einem Wegweiser Hochleckenhaus 30 Minuten. Endlich einmal eine Pause, die mir von Regentropfen nicht verkürzt wird. Im Gegenteil: blauer Himmel – jetzt kann ich mir so richtig Zeit lassen!

Diese zu querende Platte ist die vielleicht einzige Schwierigkeit im Aufstieg
Rückblick zum Grünalmkogel
Nicht mehr weit zum Hochleckenhaus!

So komme ich bereits um 11:45 Uhr am Hochleckenhaus an, durchaus zufrieden mit meiner Gehzeit (Pausen abgezogen, wohl knapp unter 5 Stunden).

Das für den Nachmittag angekündigte Schlechtwetter trifft tatsächlich pünktlich ein, eine Fortsetzung der Etappe wäre nicht allzu ratsam gewesen. Zahlreiche Tageswanderer sitzen für ein, zwei Stunden auf der Hütte fest, bevor sich das Wetter gegen Abend wieder beruhigt.

Am Abend ist das Wetter wieder in Ordnung
Sonnenuntergang

Tag 15: Hochleckenhaus – Weißenbach am Attersee

Wie gestern wird die Frühstückszeit mit 7 Uhr ausgelobt, sogar eine Viertelstunde früher steht das Büffet schon parat, so dass ich um Punkt sieben tatsächlich schon unterwegs sein kann. Es sollte heute eigentlich nur bergab gehen, zwei Gegensteigungen verstecken sich aber trotzdem im heutigen Höhenprofil.

Guten Morgen, liebe Almbewohner!
Vorbei an der Geißalm

Diese sind zwar nicht zu unterschätzen, liegen aber nach eineinhalb Wanderstunden bereits hinter mir.

Ein Wegweiser stellt dann zweierlei zur Auswahl: rechter Hand könnte ich den Gipfel der Brennerin mit schönem Blick auf den Traunsee besteigen oder linker Hand den (Not-)Unterstandsraum einer Bergrettungshütte besichtigen. Ich wähle die Hütte und halte eine kleine Pause vor ihren Toren.

Die Bergrettungshütte
Der “Dachsteinblick” bietet wenig überraschend…
…einen Blick zum höchsten Steirer & Oberösterreicher

Bevor’s nun wirklich talwärts geht, ist noch ein kleiner Gipfel zu überschreiten. Der Name Dachsteinblick kann als subtiler Hinweis gedeutet werden, warum man gerade dort gen Süden schauen sollte. Das tue ich natürlich brav, danach wandere ich noch ein wenig am Grat dahin.

An einem wunderbaren Aussichtsplatz hoch über dem Attersee müssen dann die Kniescheiben in Position gebracht werden. Denn nun werden ganze 1100 Höhenmeter abgebaut, erst kurz und schottrig, dann lange und erdig. Viel angenehmer als der vorgestrige Aufstieg auf den Feuerkogel ist das nun auch nicht.

Eine kleine Pause lege ich am Mahdlgupf ein, das erste Mal heute treffe ich auf andere Wanderer, hier scheint auch ein Klettersteig heraufzuführen.

Die Mahdlgupf-Nordwand
Am Gupf.

Weiter geht’s hinunter, am Schoberstein vorbei, immer mehr Wanderer kommen mir entgegen, sogar ganze Schulklassen. Zick – Zack – Zick – Zack – zahllose Serpentinen später erreiche ich bei einem kleinen Kirchlein den Talboden und wenig später die Bushaltestelle.

Weißenbach schon im Blick, aber immer noch tief unter mir

Gerade als ich meine Heimfahrt planen will, biegt ein Bus mit der Zielanzeige Kammer-Schörfling Bahnhst. um die Ecke. Mein Geographiewissen hat diesbezüglich zwar eine Lücke, aber da ich davon ausgehe, von einer solchen “Bahnhst.” problemlos mit dem Zug weiter zu kommen, besteige ich mal den Bus und buche ein Ticket zur besagten Haltestelle…

Obwohl: meine Annahme/Hoffnung, Kammer-Schörfling wäre ein unscheinbarer Bahnhof an der Salzkammergutbahn stellt sich recht schnell als falsch heraus, somit darf ich aber eine für mich “neue” Bahnstrecke vom Attersee gen Norden befahren, das passt auch. Über Vöcklabruck und Wien komme ich schließlich in großem Bogen durch Ostösterreich nach Hause.

Und weiter?

Vier bis fünf Wandertage verbleiben jetzt noch bis zum Abschluss des Voralpenwegs, als nächstes will der Schafberg erklommen werden, danach der Gaisberg. Von Salzburg ist es dann nur ein kurzer Hupfer über die Grenze nach Bad Reichenhall (von wo es dann am Maximiliansweg noch einige Wochen nach Bregenz weiter gehen könnte…)



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