Frühmorgens um 5:48 Uhr drücke ich mir am Bahnhof Langenzersdorf eine Fahrkarte nach Retz aus dem Automaten. Gutes Timing nach über 200 km Anfahrt! Denn nur zwei Minuten später sitze ich im Zug ins Weinviertel.
Mit einmaligem Umsteigen in Korneuburg erreiche ich Retz pünktlich um 7:12 Uhr, nun beginnt also eine neue Etappe am Weitwanderweg 07. In drei Tagen wird sie mich über 93 Kilometer zurück nach Langenzersdorf vor den Toren Wiens führen.
Tag 10: Retz – Buchberg – Patzmannsdorf
Da heute ein längerer Tag bevorsteht – geplant sind 38 km – verzichte ich darauf, ins Retzer Stadtzentrum zu gehen und marschiere auf kürzestem Weg zur 07er Markierung. Dieser folge ich nach Süden in den Nachbarort Unternalb, wo ich die erste von vielen, vielen Kellergassen durchschreite. Bei einem mobilen Bäcker, der gerade hier Halt macht, erstehe ich ein zweites Frühstück.
Am Ortsrand von Unternalb endet der Asphalt und vor mir liegt auch schon das erste Ziel, und zwar der “Gupferte”. Ein kleiner Hügel nur, der seinen Namen wohl der markanten Form schuldet. Ich marschiere über Feldwege durch Weingärten und Äcker, in den wärmeren Jahreszeiten kann man hier sicher durch eine bunte Landschaft spazieren. Heute hingegen dominieren die Brauntöne.
Den gupferten Gipfel lasse ich aus, etwa zehn Höhenmeter wären es gewesen. Ich will aber weiterkommen, möglichst nicht in die Dunkelheit geraten. Jenseits von Ragelsdorf wartet mit dem Hutberg die erste richtige Steigung, ein dreistelliger Höhenmetergewinn eröffnet einen schönen Blick zurück auf die bisherige Route.
Im Abstieg nach Haugsdorf folgt wieder eine feine Kellergasse. Fast wie bestellt schwingt eine Tür auf und noch bevor meinem Mund ein Gruß entfährt, bin ich schon eingeladen:
– Wolln’s den Weinkeller besichtigen?
– Nein, äh, naja, anschauen tät ich ihn schon…
– I hab a Weinpress’ von 1802!
Meine Augen haben sich noch nicht an den finsteren Keller gewöhnt, da werde ich mit Fakten zu dem besagten Apparat überschüttet. Aha! Interessant! Ein paar Fotos. Wiederschau’n! Und schon bin ich wieder draußen. Zu trinken bekomme ich nichts, ich dachte das wäre der eigentliche Sinn einer Kellerbesichtigung…
Mit einer doppelten Pause in Haugsdorf – zuerst verdrücke ich ein mitgebrachtes Jausenbrot, später lacht mich ein Leberkässemmerl beim Billa an – hole ich mir Kraft für den nächsten Anstieg. Der Buchberg wird in seiner ganzen Länge überschritten, Wald und Feldwege wechseln einander ab.
Der Gipfel liegt inmitten eines Wildschweingeheges. Um den drei Meter hohen Zaun überwinden zu können, stehen hölzerne Überstiege bereit. Nach wenigen Metern schließe ich die erste Bekanntschaft mit den Bewohnern, es grunzt im Gebüsch.
Wer hat sich da wohl mehr geschreckt? Ich oder doch das andere Schweinderl?
Als ich wieder aus dem Wald heraustrete, habe ich einen guten Überblick über die restliche Tagesetappe. Noch etwa zwölf Kilometer liegen noch vor mir, vorerst muss ich hinunter nach Mailberg, von dort weiter nach Großharras und auch mein Etappenziel Patzmannsdorf zeigt sich schon schemenhaft in der Entfernung.
Nahe Großharras machen sich langsam meine Fußsohlen bemerkbar. Daher beginne ich von der vorgegebenen 07er-Route abzuweichen, welche hier noch einen asphaltlastigen Schwenk zur Ortschaft Diepolz macht, während ich geradeaus auf dem Feldweg nach Großharras abkürze.
Gleiches Prozedere folgt nach der Ortschaft, so früh wie möglich zweige ich von der Bundestraße nach rechts ab und marschiere zwischen Äckern zum Patzmannsdorfer Graben, der sich als kleines Rinnsal herausstellt.
Patzmannsdorf ist von der Ausdehnung her gar nicht so klein, knapp vor 16 Uhr erreiche ich mein vorreserviertes Quartier (Hertas Pferdeparadies, 25 Euro inkl. Frühstück) wo ich die Nacht in einem großen, einfach eingerichten Zimmer (Etagenbad) verbringe. Hätte ich hier kein Quartier gefunden, die nächste Übernachtungsmöglichkeit am Weg wäre etwa 4 Gehstunden weiter in Ernstbrunn – oder ich hätte bereits in Mailberg bleiben müssen.
Tag 11: Patzmannsdorf – Leiser Berge – Großrußbach
Um 7:45 Uhr ziehe ich los, heute wartet eine relativ kurze Etappe. Der Weg beginnt mit einer Steigung hinauf in die Leiser Berge, lange Zeit verläuft der Weg auf einer relativ flachen Forststraße (die sogenannte “Hochstraße”) durch den Wald.
Nach einem kurzen Asphaltstück gerät der Aussichtsturm am Oberleiser Berg ins Blickfeld. Diese liegt zwar nicht direkt auf meiner Route, aber klar: da muss ich hin!
Leider ist sie geschlossen. An einem Sonntag. Grmbl!
Die Aussicht ist trotzdem nett und ich kann im Windschatten des Turms meine weitere Route planen. Denn sogar der Wanderführer rät von der offiziellen Markierung ab, welche einen signifikanten Umweg um ein Wildgehege macht. Bizarrerweise wird stattdessen ein dreiviertelstündiger Straßenhatscher empfohlen. Aber nicht mit mir!
So suche ich mir auf der Karte einige Feldwege zusammen, welche mich über Steinbach nach Ernstbrunn führen sollen. Offensichtlich bin ich nicht der erste, dem dies logisch erscheint, denn ich treffe hier auf den Weinviertler Jakobsweg, der genau auf “meiner” Route verläuft.
Ernstbrunn erreiche ich knapp vor 12 Uhr. Da mich nur mehr zehn Kilometer von meinem Etappenziel trennen, beschließe ich, einzukehren. An der Pizzeria Speranza am Hauptplatz kann ich einfach nicht vorbeigehen.
Während ich meine Pizza verdrücke, studiere ich die Beschreibung meines Weiterweges. Nach Großrußbach komme ich sowohl am 07er als auch über den Jakobsweg, der einen anderen Verlauf wählt. Auf Grund der guten Erfahrungen entscheide ich mich für den Camino, weil auch hier der Asphaltanteil wesentlich geringer ist.
Als relativ neu angelegter Weg hat er den Vorteil, dass seither (noch) keine der sorgsam auswählten Feldwege zu Überlandstraßen umgebaut werden konnten. Dem 07er ist das in seiner 40-jährigen Geschichte wohl schon einige Male passiert.
Gegen 3 Uhr erreiche ich das Bildungshaus in Großrußbach. Heute, Sonntag, hat die Rezeption geschlossen, daher muss ich meinen Zimmerschlüssel aus dem mit per Hochsicherheitscode geschützten Safe ziehen. Mit Schmunzeln stelle ich fest, dass das Kuvert an Pilger Hr. Gert K… adressiert ist.
Auch wenn ich heute tatsächlich einige Kilometer am Jakobsweg gewandert bin und diesen sehr genossen habe, mit dem spirituellen Aspekt des Pilgerns kann ich wenig anfangen. Ich bin und bleibe halt ein gewöhnlicher Weitwanderer.
Mein Zimmer verlasse ich heute nicht mehr, die Mittagspizza hat meinen Magen gut gefüllt und in den mittlerweile einsetzenden Regen möchte ich auch nicht hinaus.
Tag 12: Großrußbach – Glockenberg – Bisamberg – Langenzersdorf
Mein gottesfürchtiges Image werde ich auch am nächsten Tag nicht los. Beim Frühstück wird mir beschieden, wie ungewöhnlich es hier sei, dass zu dieser Jahreszeit schon Pilger Station machen. Auch werde ich alleine in den “Pilgerfrühstücksraum” abseits der wenigen anderen Gäste gesetzt. Trotzdem bin ich mit Quartier und Kost sehr zufrieden (auf den Cent genau 31.84 Euro inkl. Frühstück.)
Den dritten Tag beginne ich um 8 Uhr, durch einen Wald nach Hornsburg, dann auf der Straße bis ins Kreuttal.
Bei der Luisenmühle – gemüllert wird hier heute wohl nicht mehr – zweigt der Weg wieder in den Wald ab, um den Glockenberg (365m) zu erklimmen. Die Höhenmeter werden alle auf einmal erschlagen, dann führt der Weg eben und schnurgerade über eine bewaldete Hochfläche.
Gäbe es bei einer Wegkreuzung nicht die Tafel mit der Höhenangabe, einen Gipfelpunkt könnte ich hier nicht erkennen.
Wieder auf der Straße gelange ich nach Mannhartsbrunn, wo am Horizont zum ersten Mal die Hochhäuser Wiens erscheinen.
Nach dem Stetter Berg warten neben fünf Hochspannungsleitungen, welche in kurzer Folge unterquert werden müssen, die Ortschaften Königsbrunn und Hagenbrunn. Die Ortsnamen folgen hier einem klaren Schema.
Nun steht nur mehr der Bisamberg (358m) zwischen mir und meinem Etappenziel. Der ist wiedermal ein gutes Beispiel, wie durchs Weitwandern meine Geographiekenntnisse aufgefrischt werden. Dass der Bisamberg Wien zuzordnen ist, weiss ich natürlich. Aber ihn auch die richtige Ecke zu platzieren, war mir vor der eigenfüßigen Besteigung nicht möglich.
Ich genieße kurz die Aussicht der Elisabethhöhe, dem höchsten Punkt. Da es leicht zu nieseln beginnt mache ich mich an den Abstieg und erreiche bald den Bahnhof von Langenzersdorf.
Fazit: Es waren drei feine Tage am 07er im Weinviertel, als nächstes wäre der Waldviertler Abschnitt dran – 187 km laut Wanderbüchlein. Vielleicht ergibt sich demnächst ja noch die Möglichkeit, für die kühle Jahreszeit ist das ja ein ideales Wandergebiet.
Weiter geht’s hier: Die Fortsetzung dieser Tour unter dem Motto Stadt – Land – Fluss führt mich auf der Donauinsel quer durch Wien und weiter bis in den Nationalpark Donauauen.
ein spiegelbild-selfie 🙂
da werden erinnerungen wach!
Ja, der Verkehrsspiegel beim Kaiserwald, gell? 😉
Let’s RUG!
Ich glaube, dass noch nie ein Weitwanderer in Diepolz war.
Und der GC33DC9 wird der Punkt des Jahres 2014?
Beides halte ich für möglich, auch wenn Smeki zumindest betreffend Diepolz gegenteiliges behauptet.
Danke!
Wieder einmal ein sehr schöner Bericht!
Freu mich schon auf meine Fortsetzung ab Großrußbach in entgegengesetzter Richtung.
Wie weit werden wir wohl diesmal kommen???
Lg. Josefine
Egal wie weit ihr kommt, ich wünsche auf jeden Fall viel Spaß!
Holt ihr den steirischen Teil des 07ers irgendwann auch nach?
Hallo, uns fehlen noch die Etappen vom Hochwechsel bis Hartberg.
Die 2 Etappen von Fehring bis Radkersburg stehen auch noch aus, vielleicht passt es schon
im März.
Wir hätten halt schon gern schöneres Wetter!!
Vor 3 Tagen sind wir die Etappe von Retz nach Mailberg gewandert. In Immendorf hatten wir das große Glück, dass uns ein netter Winzer auf einen herrlichen “Spritzer” eingeladen hat. Zwar ohne Kellerbesichtigung, dafür eine willkommene Erfrischung an diesem schwülen Tag.
In 2 Wochen geht´s weiter von Kittsee durch das Burgenland.
Liebe Grüße
Erika